Jemen: Ein Hoffnungsschimmer - vielleicht
25. April 2017Schon bevor der Konflikt im Jemen im März 2015 eskalierte, war das Land arm, zerstritten und unterentwickelt. Seit aber eine von Saudi-Arabien angeführte Koalition auf Seiten des nach Riad geflohenen Präsidenten Hadi in den Konflikt eingriff, hat sich die ohnehin desolate Lage zur Katastrophe verschlimmert. Die Angriffe mit Bomben - zum Teil auch den geächteten Streubomben - und Raketen auf Huthi-Rebellen und Einheiten des mit ihnen verbündeten Ex-Präsidenten Ali Abdallah Saleh haben die Infrastruktur des Landes zerstört. Unterstützt wird die saudische Koalition unter anderem durch die USA, Großbritannien und Frankreich. Aber auch Deutschland verkauft Waffen an die Kriegsparteien. Von dem Chaos profitieren vor allem Dschihadisten: Al Kaida und auch der "Islamische Staat" haben ihre Präsenz im Jemen in den letzten beiden Jahren deutlich ausbauen können.
Alle zehn Minuten stirbt ein Kind
Wie in so vielen Konflikten leidet auch im Jemen die Zivilbevölkerung am meisten: Über 10.000 Zivilisten wurden in dem Bürgerkrieg getötet. Jetzt droht der Tod von sehr viel mehr Menschen durch Hunger. Der UN-Menschenrechtsexperte Idriss Jazairy zeichnet gegenüber der Deutschen Welle ein düsteres Bild: "85 Prozent der jemenitischen Bevölkerung leiden unter einer unsicheren Versorgung mit Lebensmitteln und Medizin. Sieben Millionen wissen nicht, wo die nächste Mahlzeit herkommen soll. Eine Gruppe von zwei Millionen wird direkt von Hunger bedroht, darunter knapp 500.000 Kinder. Menschen aus dieser Gruppe sterben bereits!" Alle zehn Minuten stirbt ein Kind unter fünf Jahren an vermeidbaren Ursachen, fasst eine UN-Publikation die Lage zusammen. Eine Flüchtlingswelle aus dem Jemen in Europa gibt es trotz der katastrophalen Lage nur deshalb nicht, weil die Menschen sich die Flucht nicht leisten können.
An diesem Dienstag tritt in Genf eine Geberkonferenz zusammen. Ziel: Die desaströse humanitäre Lage im Jemen zu lindern und eine drohende Hungerkatastrophe abzuwenden. Eingeladen haben die Vereinten Nationen sowie das schwedische und das schweizerische Außenministerium. Auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat sein Kommen zugesagt. Aus Deutschland nimmt die Menschenrechtsbeauftragte Bärbel Kofler an der Konferenz teil. Die Lage drängt: 2, 1 Milliarden Dollar benötigen die Vereinten Nationen für dringende Nothilfe. Bis Anfang April waren gerade mal 6, 6 Prozent der Summe zusammengekommen.
Erschwerter Zugang für Hilfe
Auch wenn die Geberkonferenz in Genf ein voller Erfolg wird und die anreisenden Delegationen nicht nur Geld versprechen, sondern es tatsächlich fließen lassen: Dann stünde immer noch das Problem im Raum, wie die Hilfsmittel zu den Bedürftigen kommen. Marten Mylius ist Nothilfekoordinator für den Nahen Osten der Hilfsorganisation CARE. Im DW-Gespräch beklagt Mylius, der Zugang zu den Menschen sei für die Hilfsorganisationen sehr schwierig geworden. Mylius möchte zwar nicht so weit gehen, zu sagen, Hunger werde in dem Krieg als Waffe eingesetzt. Aber zumindest werde er billigend in Kauf genommen, so Mylius.
Ein bedeutender Teil der Verantwortung für die Notlage fällt dabei der saudischen Militärkoalition zu. Die hat eine Blockade über die See- und Flughäfen des Jemen verhängt. Was die Lage verkompliziert: Der wichtigste Hafen für den Import von Nahrungsmitteln ist der Hafen Hodeida am Roten Meer. Der steht unter Kontrolle der Huthi-Saleh Rebellen. Deswegen wurde diese Lebensader schon mehrfach bombardiert. Wobei nach Angaben von Marten Mylius auch Verladekräne und andere Infrastruktur zerstört wurde. UN-Experte Jazairy betont, selbst wenn ein Schiff mit Hilfsgütern den Hafen von Hodeida anlaufen dürfe, dauere die Entladung bis zu 30 Tage. In dieser Zeit würden manche Hilfsgüter bereits verderben.
Hilfskorridore schaffen
Menschenrechtsexperte Idriss Jazairy ist bei den Vereinten Nationen Sonderberichterstatter für die "negativen Folgen einseitiger Zwangsmaßnahmen". In dieser Funktion veröffentlichte Jazairy am 12. April einendramatischen Appell, die Blockade des Jemen sofort zu beenden. Gegenüber der DW forderte der algerische UN-Diplomat die Schaffung humanitärer Korridore. "Wir reden über Zugang und Korridore in anderen Ländern der Region. Warum können wir sie im Lichte der furchbaren Situation nicht auch im Jemen schaffen?", fragt Jazairy anklagend.
Das Schlimmste könnte Hodeida noch bevor stehen - und den notleidenden Menschen im Jemen:Es verdichten sich Gerüchte um einen Angriff der saudischen Koalition auf Hodeida. Zwar hat US-Verteidigungsminister James Mattis bei einem Besuch in Saudi-Arabien gerade betont, der Konflikt im Jemen sei militärisch nicht zu lösen. Ob das die Koalition von ihrem Vorhaben abbringen wird, den Hafen mit militärischer Gewalt aus der Hand der Huthis zu winden, ist fraglich. Marten Mylius erwartet für den Fall eines solchen Angriffs "gravierende Folgen für das Land" und verweist zugleich auf die Gefahren für die Zivilbevölkerung der 400.000 Einwohner Stadt. Bereits in den letzten Wochen seien über 50.000 Menschen im Süden Hodeidas vertrieben worden, beklagt der CARE-Nahost-Koordinator.
Deutsche Mitschuld
Bei einer Eskalation in Jemen würde sich auch Deutschland mit schuldig machen. Erst Mitte April hat Deutschland den Export von Waffen an die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) genehmigt - darunter hochkalibrige Munition. Die VAE sind Teil der saudischen Koalition und damit Kriegspartei. Jan van Aken, Rüstungsexperte der Fraktion Die Linke im Bundestag, fordert im Gespräch mit der DW einen Stopp von Rüstungsexporten für alle Mitglieder der Kriegskoalition im Jemen. Besonders ärgert den Hamburger Linken-Abgeordneten, dass Deutschland jetzt noch Ersatzteile für die Flugzeuge der saudischen Luftwaffe liefert, die im Jemen bombardieren. "Wir wissen auch, dass Munition geliefert worden ist", ergänzt van Aken. "Munition, die da gerade verschossen wird."