Spahn warnt vor Engpässen bei Medizinprodukten
28. März 2019Wovor genau warnt Jens Spahn?
Im Falle eines harten Brexits befürchtet Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Versorgungsengpässe bei wichtigen Medizinprodukten. Dabei geht es laut Spahn vor allem um Implantate, Herzschrittmacher oder Produkte, mit denen Blutproben auf Krankheiten wie HIV getestet werden können. Spahn warnt davor, dass diese Produkte ihre Zulassung verlieren könnten. "Bei einem ungeregelten Brexit ist ohne die Verständigung auf praktikable Verfahrensweisen davon auszugehen, dass Zehntausende Medizinprodukte ihre formelle Verkehrsfähigkeit in der EU verlieren und damit auf dem europäischen Markt nicht mehr zur Verfügung stehen", schreibt Spahn in einem Brief an die EU-Kommission.
Wieso würden Medizinprodukte ihre Zulassung verlieren?
Um in der EU zugelassen zu werden, brauchen Medizinprodukte eine sogenannte CE-Kennzeichnung. Diese Kennzeichnung erklärt, dass die Produkte den Richtlinien der EU entsprechen. Bei Medizinprodukten gibt es in ganz Europa unabhängige Prüf- und Zertifizierungsstellen, die diese Kennzeichnung erteilen. In Deutschland sind das zum Beispiel der TÜV oder die Dekra. In Großbritannien ist die "British Standards Institution" (BSI) die größte Zertifizierungsstelle. Die jeweiligen Stellen sind auf unterschiedliche Produktkategorien spezialisiert, bei der britischen BSI sind es unter anderem Implantate. Daher lassen viele Hersteller ihre Produkte in Großbritannien zertifizieren, denn die Kennzeichnung gilt dann EU-weit. Tritt Großbritannien nun ungeregelt aus der EU aus, dann gehen einige Juristen davon aus, dass in dem Moment auch die EU-weite Zulassung für die Produkte entfalle. Damit dürften die Produkte nicht mehr außerhalb Großbritanniens vertrieben werden. Ob die Zulassung mit einem harten Brexit aber wirklich entfallen würde, darüber sind sich die Juristen uneins.
Was sagen Unternehmen und Verbände zu Spahns Befürchtungen?
Der Bundesverband für Medizintechnologie teilt Spahns Einschätzungen. "Das ist das, was wir gegenüber der Politik seit Monaten predigen", sagt Verbandssprecher Manfred Beeres der DW. Doch habe man bei der EU-Kommission bisher wenig Gehör gefunden. "Es muss pragmatische Lösungen geben, sonst haben wir ein Problem bei der Patientenversorgung", so Beeres, der auf das Beispiel Herzschrittmacher verweist: Hier gebe es weltweit nur fünf relevante Unternehmen, die Herzschrittmacher herstellten. Vier davon seien amerikanische, die ihre Produkte für den europäischen Markt zum größten Teil in Großbritannien zertifizieren ließen.
Manche Unternehmen bereiten sich daher schon auf mögliche Engpässe vor. Der Medizintechnikhersteller B. Braun teilte auf Anfrage mit, man analysiere bereits seit 2016 mögliche Auswirkungen eines Brexits und habe umfassende Maßnahmen eingeleitet, um Hindernisse im Warenverkehr abfangen zu können. Dazu zähle unter anderem der Aufbau von Lagerkapazitäten.
Weniger Probleme bereitet ein möglicher harter Brexit dem weltweit viertgrößten Medizintechnikunternehmen Fresenius Medical Care aus Deutschland. Ein Unternehmenssprecher sagte der DW, das Unternehmen vertreibe keine in Großbritannien zertifizierten Produkte.
Was müsste getan werden, um Versorgungsengpässe zu vermeiden?
Spahn fordert die Kommission und die anderen EU-Mitgliedsstaaten in seinem Brief auf, sich auf einen gemeinsamen Krisenplan zu verständigen. So fordert er, die Verfahren für die Übernahme von britischen Zertifizierungen durch Stellen in der EU zu vereinfachen und zu beschleunigen. Und er plädiert für eine Übergangslösung für in Großbritannien zertifizierte Produkte. Bis zu einem Jahr lang sollten Hersteller ihre Produkte demnach auch ohne formelle Bescheinigung in der EU vertreiben dürfen, wenn sie sich zeitgleich um eine neue Zertifizierung in einem anderen EU-Land bemühen.
Könnte es auch bei Medikamenten knapp werden?
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) rechnet nach eigenen Angaben nicht mit Engpässen bei als versorgungsrelevant eingestuften Medikamenten. Die EU-Zulassungsverfahren bei Arzneimitteln unterscheiden sich zu denen von Medizinprodukten. Bei einem harten Brexit könnte es aber auch im Arzneimittelbereich zu Zertifizierungsproblemen kommen. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) erklärte auf Anfrage, der Brexit berge die Sorge, dass in Großbritannien zugelassene oder hergestellte Arzneimittel künftig nicht mehr in Deutschland verfügbar sein könnten. Konkrete Erkenntnisse zu möglichen Lieferengpässen lägen derzeit aber nicht vor.
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hält Engpässe bei bestimmten Medikamenten ebenfalls für möglich, rechnet aber nicht mit einem Versorgungsnotstand. "Die Industrie hat Maßnahmen getroffen, die negativen Auswirkungen eines harten Brexits auf die Patientenversorgung gering zu halten", erklärte der BPI-Vorsitzende Martin Zentgraf auf Anfrage. Zentrag zufolge hätten sich die pharmazeutischen Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren vorbereitet und beispielsweise Vorräte angelegt.