Jiddische Wörter in der deutschen Sprache
6. September 2021"Es ist ein Kompliment an eine Sprache, wenn man von dort ein Wort entlehnt, weil man es besonders prägnant oder charmant findet", sagt Ronen Steinke. Der deutsche Buchautor, Journalist und Jurist hat 2020 ein Büchlein über jiddische Begriffe geschrieben, die längst einen festen Platz in der deutschen Sprache haben. Der "Ganove" gehört ebenso dazu wie der "Knast", der "Pleitegeier" oder "Tacheles". Auch "Abzocke" und "Zoff" oder das "Kaff" sind geläufige Ausdrücke, von denen kaum einer weiß, dass sie jiddische Wurzeln haben.
Viele Wörter gefallen Steinke besser als ihre deutschen Pendants: "Du bist 'meschugge' klingt viel lässiger als 'Du bist nicht bei Verstand'", findet er - ähnliches gilt wohl auch für "angeschickert" statt "besoffen" oder "malochen" statt "arbeiten". Nicht zu vergessen: "schmusen" oder über etwas "mosern".
Wörter mit negativem Beiklang
Auf der anderen Seite warnt Steinke davor, dass einige jiddische Wörter heutzutage oft in einer verdrehten und abwertenden Bedeutung benutzt werden, die über die Jahrhunderte hinweg entstanden ist. "Sprache formt das Bild, das wir voneinander haben", sagte Steinke dem Bayerischen Rundfunk. So bezeichne der Begriff "Mischpoke" im Jiddischen einfach nur die Familie, im Deutschen hingegen eine Gesellschaft übler Zeitgenossen. Eine "Ische" ist eigentlich eine Frau, im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch hat man ihr aber auch noch einen zweifelhaften Ruf angeheftet.
"Wenn das im Import in den deutschen Sprachschatz dann so einen negativen Beiklang hat, dann sagt das etwas aus darüber, was für ein Bild von Jüdinnen und Juden da mitschwingt", findet Steinke. Ein Bild, das seiner Meinung schon im Mittelalter entstand, als man Juden aus Armenvierteln oft automatisch mit Dieben gleichsetzte, die ebenfalls dort lebten.
"Kleine Arsendosen"
Und Steinke nennt noch mehr Beispiele: "Schachern" etwa - im Jiddischen bedeutet es so viel wie Handel treiben oder Geld verdienen; im Deutschen hingegen benutzt man das Verb, wenn unsaubere Geschäfte gemacht werden. Oder "mauscheln": Wer hinter den Kulissen mauschelt, handelt für sich unter der Hand Vorteile aus.
Dabei, betont Steinke, sei "Mauschel" lediglich die jiddische Form des jüdischen Vornamens Moses. Im 17. Jahrhundert ist daraus dann irgendwann das abfällige Verb mauscheln entstanden - bis heute gebräuchlich. Und auch wenn derartige Wörter heutzutage ohne böse Absicht benutzt werden, stellt Ronen Steinke klar: So eine Wortwahl kränkt jüdische Menschen. "Ich würde es mit kleinen Arsendosen vergleichen", sagt er. "Für sich genommen sind sie nicht giftig, aber wenn man sie über Jahre immer wieder zu sich nimmt, reichern sie eine giftige Wirkung an."
Kein Wunder also, dass Steinke sein Buch "Antisemitismus in der Sprache: Warum es auf die Wortwahl ankommt" genannt hat. Es ist ihm wichtig klarzustellen, dass subtile Begriffe oft eine größere Wirkung haben als offensichtliche antisemitische Äußerungen, die sofort auffallen und die man schnell beiseite wischen könne.
Eine kleine Sprachgeschichte des Jiddischen
Die jiddische Sprache entstand Anfang des 13. Jahrhunderts. Die Juden lebten oft in eigenen Vierteln, mit zunehmender Diskriminierung wurden diese später sogar durch Mauern abgegrenzt. Mit der Zeit flüchteten viele ins benachbarte Königreich Polen, wo sie ihre Religion freier ausleben konnten. Und so vermischten sich im Laufe der Zeit deutsche Vokabeln mit solchen hebräischen Ursprungs und slawischen Wörtern.
Fast zehn Millionen jiddische Muttersprachler lebten einst zwischen Kiew, Riga und Berlin. Nach dem Holocaust ist von den einst blühenden Orten - den Schtetln - nicht mehr viel übrig geblieben. Heute gibt es nur noch wenige ultra-Orthodoxe Gemeinden, die regelmäßig Jiddisch sprechen, schreibt Steinke in seinem Buch.
Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg nach Israel emigrierte Jüdinnen und Juden hätten das Jiddische als Sprache der Unterdrückten angesehen. Es galt als "alt und schwach, als etwas aus guten Gründen Zurückgelassenes". Auch wenn Jiddisch anfangs noch lange die Muttersprache der israelischen Mehrheit gewesen sein dürfte, wurde erwartet, dass man es hinter sich ließ - um einen Neuanfang zu starten.
Erst heute, im 21. Jahrhundert, interessieren sich viele junge Israelis wieder zunehmend für die Sprache ihrer Vorfahren. In Europa lebt das Jiddische weiter in den Lehnwörtern. Und bei aller Vorsicht vor nicht korrekt benutzten Begriffen findet Steinke, dass sie der deutschen Sprache gut tun. "Manchmal ist das treffendste Wort: Schlamassel."