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Jobs auf Kosten der Moral

Christian Siepmann27. Juli 2014

Rüstungsexporte sind umstritten, schaffen aber Arbeit. Die Linkspartei fordert als einzige Partei im Bundestag ein Ausfuhrverbot. Doch wenn Ideale auf Realitäten treffen, wanken auch ihre Politiker.

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Lürssen Werft
Bild: picture-alliance/dpa

Mit der Peene-Werft in Wolgast war es schon fast vorbei. Sechzig Jahre Schiffbau, eine Erfolgsgeschichte im strukturschwachen Vorpommern, etwa 500 Arbeitsplätze - all das drohte verloren zu gehen. Im August 2012 drückte die Schifffahrtskrise die Werft in die Insolvenz.

Die Rettung kam unverhofft. 2013 übernahm die Bremer Lürssen-Gruppe die Werft. Einen dicken Auftrag brachte sie gleich mit. 2014 gab Lürssen bekannt, man werde für Saudi-Arabiens Küstenschutz bauen: Patrouillenboote für 1,4 Milliarden Euro, so Medienberichte. Ein Rüstungsexport für Wolgast also.

Solche Exporte sind politisch umstritten. Im vergangenen Jahr genehmigte die Bundesregierung Einzelausfuhren von Rüstungsgütern im Wert von 5,8 Milliarden Euro. Sie gingen auch in Länder wie Saudi-Arabien oder Katar. Dort sind Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung. Außerdem gibt es in der Region schwere Konflikte. Die Waffenexporte stoßen deshalb auf Kritik - im Deutschen Bundestag vor allem seitens einer Partei: der Linken. Sie ist aus Prinzip gegen alle Rüstungsexporte. Deren Verbot soll sogar im Grundgesetz festgeschrieben werden, so fordert es die Partei in ihrem Programm.

Lürssen Werft
Rettung in letzter Not - die Peene-Werft in WolgastBild: picture-alliance/dpa

Bewusster Verstoß gegen die Parteilinie

Als in Wolgast die Nachricht vom Rüstungsauftrag für die Peene-Werft bekannt wurde, war die Linkspartei mit acht Abgeordneten im Stadtparlament vertreten. In deren Namen erklärte Fraktionschef Lars Bergemann öffentlich, der Auftrag gebe vielen Familien in der 12.000-Einwohner-Stadt und dem Umland wieder eine Perspektive. Kaufkraft bleibe in der Region, Fachkräfte fänden dort Arbeit. Eine positive Bewertung - und ein bewusster Verstoß gegen die Parteilinie.

Bergemann rechtfertigt sich: Die Wolgaster Werftarbeiter müssten ihre Familien ernähren und wünschten einen gewissen Lebensstandard. "Den will ich auch", sagt er, "und deswegen muss ich immer sagen: 'Ok, ich brauche einen Kompass.' Ich brauche manchmal auch radikale Positionen. Aber manchmal muss ich auch fragen: 'Ist das lebenstauglich? Oder ist das reiner Populismus?'" Mit dem Kompass meint er das Programm der Linkspartei - und die Forderung nach einem Verbot aller Rüstungsexporte.

P+S-Werften in Wolgast
Heile Welt bei LürssenBild: picture-alliance/dpa

Ein Menschenleben ist unantastbar?

Jan van Aken nimmt es mit diesem Verbot sehr genau. Er ist Abrüstungsexperte der Linkspartei im Bundestag in Berlin. Und er akzeptiert die Abweichung nicht, die Bergemann für Wolgast in Anspruch nimmt - auch nicht, wenn dadurch Arbeitsplätze gerettet werden. "Das ist Unterstützung eines Unterdrückungsregimes", empört er sich und fügt hinzu, "mit Waffen sogar noch. Das finde ich total falsch."

Etwas über 300 Arbeitsplätze gibt es nach der Rettung auf der Peene-Werft, 360 sollen es nach Aussage der Lürssen-Gruppe wieder werden. Alternativen zur Werftarbeit gibt es in der strukturschwachen Gegend kaum. Schon in guten Monaten ist die Arbeitslosenquote von Wolgast zweistellig. Aber für Van Aken sind das keine Argumente. "Man kann nicht Arbeitsplätze über Menschenleben stellen, das geht nicht."

Pragmatismus schlägt Ideale

Der Kommunalpolitiker Lars Bergemann weiß, dass mancher auf der Peene-Werft Gewissensbisse hat. Er ist 41 Jahre alt, sein Vater war Ingenieur auf der Werft. Seit 15 Jahren macht Bergemann Kommunalpolitik. Er kennt die Sorgen seiner Bürger ganz genau: Geschäftsleute, die um Umsatz bangen, Werft-Arbeiter, die hohe Hauskredite abzahlen. Deswegen plädiert er für Pragmatismus.

In Wolgast sei die Entscheidung für den Patrouillenboot-Export nicht gefallen, argumentiert er. Die Regierung von Saudi-Arabien in Riad habe sich zum Kauf entschieden. Der Bundessicherheitsrat in Berlin hat den Export positiv bewertet. Die Bundesregierung hat dafür eine Kredit-Bürgschaft gegeben. Lürssen aus Bremen hat entschieden, dass 2015 mit dem Bau der Boote begonnen werden soll - in Wolgast. "Meine Aufgabe als Kommunalpolitiker ist es zu sagen: 'Mann, ist doch toll, dass unsere Leute Arbeit haben.'" Das bedeute nicht, dass er den Bau von Marineschiffen in seiner Heimatstadt toll finde. Aber ein anderer Auftrag sei nun einmal nicht da.

Jan van Aken DIE LINKE Porträt
Jan van Aken lehnt Pragmatismus abBild: picture-alliance/dpa

Beliebtester Stadtvertreter Wolgasts

Der Abrüstungsexperte Jan van Aken hält dagegen, der Standort hätte schon vor Jahren auf zivile Produkte umstellen müssen. Weil man das in Wolgast nicht getan habe, sei man nun erpressbar durch Rüstungsaufträge. Und überhaupt trage jeder auch eine individuelle Verantwortung. "Du musst Dir als Arbeitnehmer überlegen, ob du weiter an Mordinstrumenten arbeiten willst, die tatsächlich auch eingesetzt werden. Jede Waffe findet ihren Krieg, und Menschen werden damit getötet", erklärt er.

Dem Kommunalpolitiker Bergemann hat es nicht geschadet, dass er sich gegen die Parteilinie gestellt hat. Bei der Neuwahl des Stadtparlaments vor wenigen Wochen konnte er sein Stimmenergebnis mehr als verdoppeln.