Journalisten im Fadenkreuz
14. Februar 2018"Ich arbeite in einem der tödlichsten Länder für die Presse." In einem Land, in dem zwar offiziell kein Krieg herrsche, "in dem jedoch bereits so viele Journalisten ermordet wurden wie in Afghanistan, Libyen, Irak oder Syrien." Das schrieb die mexikanische Investigativ-Journalistin Lilia Pérez vor einiger Zeit in einem Gastkommentar für die Deutsche Welle. Perez und ihre Kollegen in Mexiko stehen im Fadenkreuz von Drogenkartellen oder korrupten Beamten, die kritische Journalisten zum Schweigen bringen wollen - mit allen Mitteln.
Einen hohen Preis bezahlt
Die Journalistin spricht davon, wie sie ihren Beruf dennoch verantwortungsvoll und unabhängig ausgeübt habe, ohne sich korrumpieren zu lassen. Dafür habe sie "einen hohen Preis zahlen müssen: Drohungen, Aggressionen, gerichtliche Verfolgung und vieles mehr." Perez flüchtete 2012 als erste mexikanische Journalistin vorübergehend ins Exil nach Deutschland. Mexiko, Syrien und Afghanistan seien die Länder, "in denen das Risiko besonders hoch ist, als Journalist getötet zu werden", sagt Christian Mihr im Gespräch mit der DW. Für den Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (ROG) verdeutlichen Mexiko und Syrien ein generelles Problem.
Auch wenn es ganz unterschiedliche Länder seien, "in beiden Fällen haben wir es mit zerfallender Staatlichkeit zu tun". In einigen Regionen Mexikos sei zu beobachten, dass der Staat dort eigentlich fast nicht mehr existent sei. "Die organisierte Kriminalität hat die Macht übernommen und Journalisten-Schutzprogramme funktionieren deswegen nicht, weil die Behörden korrupt oder mit der organisierten Kriminalität verbandelt sind." Syrien sei vergleichbar, weil es auch dort kaum noch funktionierende staatliche Strukturen gebe.
Prügel nach Verkehrskontrolle
In einigen Ländern reichen schon geringste Anlässe für Übergriffe. "Im September 2014 wurde ich von der Verkehrspolizei zusammengeschlagen", berichtet der Journalist Privilege Musvanhiri aus Simbabwe in einem DW-Schwerpunkt zur Pressefreiheit. Musvanhiris Vergehen: Er hatte fotografiert, wie Polizisten mit der Besatzung eines Pendlerbusses in Streit gerieten, den sie wegen eines angeblichen Verkehrsdelikts gestoppt hatten. "Sie bearbeiteten mich mit Schlagstöcken - selbst nachdem sie wussten, dass ich ein akkreditierter Journalist bin."
Wenn es um Verstöße gegen die Pressefreiheit geht, sorgen Länder wie China, Iran oder Russland seit Jahren für Schlagzeilen. Aber auch in EU-Ländern wie Polen oder Ungarn geraten Journalisten zunehmend unter Druck. Wie Reporter Ohne Grenzen mitteilte, verschärfen die dortigen rechtskonservativen Regierungen mit neuen Gesetzen die Kontrolle öffentlich-rechtlicher Medien und setzen durch die Vergaben staatlicher Anzeigen auch private Medien unter Druck.
In der ROG-Rangliste steht Nordkorea auf dem letzten Platz (180) hinter Eritrea (179) und Turkmenistan (178). Allein im vergangenen Jahr wurden nach einer Bilanz von Reporter Ohne Grenzen weltweit 65 Journalisten getötet und 54 entführt, 326 sitzen in Haft. Es sind erschreckende, zugleich nüchterne Zahlen, die erst durch Schilderungen von Journalisten wie Perez und Musvanhiri erahnen lassen, welche Schicksale und Tragödien sich hinter ihnen verbergen und was das konkret für die Arbeit von Journalisten bedeutet.
Journalisten als politische Geiseln
Dass es keine Garantie für eine unabhängige und freie Presse gibt, unterstreicht die Entwicklung in der Türkei. Spätestens seit dem Putschversuch im Juli 2016 filettiert Staatschef Recep Tayyip Erdogan die Pressefreiheit. Nach ROG-Angaben sind mehr als 150 Journalisten verhaftet und rund 150 Medienhäuser geschlossen worden. Mittlerweile ist die Türkei in der ROG-Rangliste der Pressefreiheit auf einen der hinteren Ränge abgerutscht: Platz 150.
Die deutsche Öffentlichkeit blickt vor allem deshalb gebannt auf die Türkei, weil die Inhaftierung des Korrespondenten der Tageszeitung "Die Welt", Deniz Yücel, vor einem Jahr, die bilateralen Beziehungen belastet. Dem 44-jährigen Deutschen mit türkischen Wurzeln wird Terrorpropaganda vorgeworfen. Yücel hatte unter anderem auf Einschränkungen der Pressefreiheit in der Türkei hingewiesen. Christian Mihr von Reporter Ohne Grenzen sieht Yücel als Opfer des außenpolitischen Drucks, den die Türkei mit seiner Inhaftierung auf Deutschland erzeugen wollte.
Vermeintliche Gefahr für Nationale Sicherheit
Der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen weist auf vergleichbare Ereignisse hin. Im Iran habe der US-Reporter Jason Rezian von der "Washington Post" von 2015 bis 2016 18 Monate in iranischen Gefängnissen verbringen müssen. "Er war eine politische Geisel", erklärt Mihr. Ein anderer Fall seien die beiden deutschen "Bild"-Reporter Markus Helbig und Jens Koch gewesen, "die im Jahr 2010 für vier Monate im Iran inhaftiert und letztlich auch Opfer außenpolitischen Drucks waren".
Solche Ereignisse zeigen, wie demokratiefeindliche Regierungen oder Diktaturen, Freiheitsrechte schleifen. Ihr Vorgehen ähnelt sich: Kritische Berichterstattung wird meist als Gefahr für die Nationale Sicherheit oder Terrorpropaganda gebrandmarkt und Journalisten als politischer Faustpfand missbraucht. Unabhängiger Journalismus als Kontrollinstanz, die Missstände aufdeckt und anprangert oder den Mächtigen bei Fehlern auf die Fingern klopft, hat in solchen Ländern keine Chance.
Immerhin sorgen prominente Fälle wie der von Deniz Yücel nach Einschätzung von Christian Mihr dafür, dass nicht nur Journalisten, sondern auch ganz normalen Bürgern vor Augen geführt werde, "was für ein kostbares Gut Pressefreiheit ist und dass Journalismus unter Druck steht und ständig bedroht wird".