Julian Alaphilippe holt nächsten Etappensieg
24. Juli 2018Kopfschütteln. Er kann es nicht fassen. Dabei kennt er das Gefühl schon: Julian Alaphilippe rast dem nächsten Etappensieg entgegen. Immer wieder dreht er sich um, schaut, ob die Konkurrenz ihn noch einholen kann. Sie kann nicht. Der Franzose liegt klar in Front und die letzten Meter in Richtung Ziel geht es bergab - ideal für den guten Abfahrer Alaphilippe. Eigentlich fährt er auf das Bergtrikot, doch auf den letzten Kilometern der 16. Etappe der Tour de France 2018 kann er sich als Solist absetzen und gewinnt nach 218 Kilometern in Bagnères-de-Luchon bereits seinen zweiten Tagesabschnitt. Als Klassikerspezialist gehört er bei den Frühjahrsrennen bereits zu den Top-Leuten, bei der Tour ist er aus Sicht der Franzosen dennoch die Entdeckung.
Dabei profitierte der Träger des Bergtrikots vom belgischen Team Quick-Step von einem Sturz eines Gegners: Der Brite Adam Yates (Mitchelton-Scott) kam auf der finalen Abfahrt vom Col du Portillon hinab ins Ziel Bagnères-de-Luchon in Führung liegend zu Fall. In einer engen Linkskurve riskierte Yates zu viel und lag plötzlich auf dem Asphalt. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, fuhr Julian Alaphilippe an ihm vorbei. Mit zerissenem Trikot setzte Yates die Fahrt fort, wirkte im weiteren Verlauf der Abfahrt jedoch gehemmt und konnte Alaphilippe folglich nicht mehr einholen. 15 Sekunden nach dem Etappensieger belegten Gorka Izaguirre aus Spanien (Bahrain-Merida) und Yates die weiteren Podestplätze. Da sich Alaphilippe im Laufe der Etappe an den Bergwertungen weitere Zähler für sein Bergtrikot sicherte, scheint nach dem Grünen Trikot (das fest auf den Schultern von Peter Sagan, Bora-Hansgrohe, sitzt) auch das gepunktete Trikot nun bereits vergeben: Alaphilippe führt mit 122 Zählern, sein Landsmann und Vorjahressieger der Wertung, Warren Barguil, hat mit 73 Punkten bereits einen großen Rückstand.
Tränengas gegen Demonstranten auf der Strecke
Begonnen hatte die 16. Etappe mit turbulenten Szenen: Nach rund 30 km blockierten Landwirte die Strecke. Die Tour musste stoppen, was höchst selten vorkommt. Die Bauern wollten mit der Aktion ihren Unmut wegen der Kürzung von finanziellen Mitteln durch den Staat zeigen. Sie versperrten den Fahrern mit Heuballen den Weg. Die Gendarmerie, die zudem noch freigelassene Schafe bändigen musste, setzte gegen die Demonstranten Tränengas ein. Dieses wehte allerdings auch den Radprofis in die Augen. Zahlreiche Fahrer, darunter auch der unter Asthma leidende Froome und Thomas, hatten sichtlich mit den Folgen zu kämpfen, schnappten nach Luft und wuschen sich mit Wasser die Augen aus. Wenige hundert Meter später wurde das Rennen von Tour-Chef Christian Prudhomme neutralisiert und unterbrochen, damit Ärzte die Betroffenen behandeln konnten. Erst nach zehn Minuten erfolgte der Neustart.
Ein weiterer Schreck-Moment folgte rund 60 km vor dem Ziel: der belgische Ex-Weltmeister Philippe Gilbert (Quick-Step) verbremste sich alleine in Führung liegend in einer Linkskurve einer Abfahrt, blieb mit seinem Rad an einer Begrenzungsmauer hängen und flog kopfüber über diese hinweg mehrere Meter in die Tiefe. Nach bangen Momenten tauchte Gilbert wieder am Straßenrand auf und konnte das Rennen anscheinend weitgehend unverletzt fortsetzen. Erst im Krankenhaus wurde später festgestellt: Gilbert erlitt bei seinem Sturz eine gebrochene Kniescheibe, das Ende der Tour für ihn. "So wollte ich die Tour nicht beenden, das tut weh. Aber ich bin froh, dass ich nach diesem Moment noch hier bin", sagte der 36-Jährige.
Die Ruhe vor dem Sturm am Mittwoch?
Während vorne in einer ursprünglich 47-köpfigen Fluchtgruppe am Ende Alaphilippe die besten Beine hatte, wartete im Peloton dahinter alles auf die Attacken der Konkurrenten des führenden Sky-Teams. Doch die blieben weitgehend aus - auch zur Überraschung des Trägers des Gelben Trikots: "Wir hatten mehr Attacken erwartet, aber zu denen kam es gar nicht. Denn mein Team war so stark, sie haben alles getan, um das Rennen zusammen zu halten. Es läuft gut bei uns", freute sich Geraint Thomas. Der Waliser blickt somit auf einen weiteren Tag ohne großen Zeitverlust zurück. Die drei nicht allzu schweren Anstiege Col de Portet d'Aspet, Col de Menté und Col du Portillon am Ende einer bis dahin flachen Etappe waren am Ende eine vergleichsweise leichte Pyrenäen-Ouvertüre nach dem Ruhetag. Viele der Favoriten haben ihren Blick wohl längst auf die folgende Etappe am Mittwoch gerichtet: Dann erwartet die Fans in den Pyrenäen ein wahres Bergspektakel.