Juliette Gréco wird 90
6. Februar 2017Mai 2014 in der Pariser Konzerthalle "Olympia": Tausend gespannte Gesichter im Publikum. Dicht an dicht gedrängt warten die Fans auf Juliette Gréco. Die ersten Klavierakkorde erklingen und einige zücken schon ihr Smartphone, um jeden einzelnen Augenblick einzufangen. Immerhin ist ihr Star damals bereits 87 Jahre alt und manche ahnen vielleicht, dass die Auftritte seltener werden. Dann tritt die "Grande Dame de la Chanson" ins Licht und an das Mikrofon. Applaus bricht aus. Jubelrufe gehen durch die Menge. Jedes Auge ist erwartungsvoll auf sie gerichtet, so als würde eine alte Bekannte auf der Bühne stehen, eine gute alte Freundin. So oder ähnlich beginnt seit Jahrzehnten nahezu jedes Konzert der Künstlerin, die einmal die "Königin der Existentialisten" genannt wurde.
Schwieriger Start ins Leben
Juliette Gréco erblickt am 7. Februar 1927 das Licht der Welt. In Montpellier an der französischen Mittelmeerküste. Ihr Vater, ein Polizeikommissar, der aus Korsika stammt, verlässt schon früh die Familie. Die Mutter zieht mit ihren Töchtern nach Paris und schließt sich im Zweiten Weltkrieg der Résistance an, dem Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Die junge Juliette wächst deshalb, zusammen mit ihrer Schwester Charlotte, bei der Großmutter in Bordeaux auf. Im Jahr 1943 werden Mutter und Schwester von der deutschen Gestapo verhaftet und ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Beide überleben diese schreckliche Zeit. Juliette wird von der französischen Polizei für drei Wochen ins Frauengefängnis von Frèsnes gesteckt. Alles in allem keine leichten Bedingungen für den Start einer Künstlerkarriere.
Weltschmerz als Markenzeichen
Nach Kriegsende singt Juliette in einigen Lokalen im Pariser Künstlerviertel Saint-Germain-des-Prés. 1946 eröffnet sie dort mit einer Freundin das Kellerlokal "Tabou". Schon bald wird der Club zum Treffpunkt der französischen Existentialisten. Der Philosoph und Romancier Jean-Paul Sartre, der Filmregisseur, Schauspieler und Autor Orson Welles und die aus Berlin stammende Filmdiva Marlene Dietrich gehen hier ein und aus. Juliette Gréco ist fasziniert von der unkonventionellen Art und Denkweise dieser neuen Intellektuellen. Und diese wiederum fühlen sich von Gréco inspiriert. Millionen Gedichte habe sie in ihrer Stimme, die noch nicht geschrieben seien, sagt Sartre einmal ganz begeistert. Sie erinnere daran, dass Worte eine sinnliche Schönheit hätten. Mit ihm und dem Maler Bernard Buffet verbindet sie sogar eine Freundschaft.
Jean-Paul Sartre und Albert Camus schreiben die Texte für ihre Chansons, in denen sich alles um den Lebenshunger der Nachkriegsgeneration dreht. Gréco hat damals lange schwarze Haare, ihre Augen sind schwarz geschminkt und sie trägt passend dazu schwarze Männerhosen. Damit zeigt sie offen ihre Nähe zu den Existentialisten. Mit ihrer dunklen Stimme ist sie die perfekte Interpretin für schwermütige Lieder und wird nach kurzer Zeit als "schwarze Muse von Saint-Germain-des-Prés" gefeiert. "Schwarz lässt Raum für das Imaginäre", erklärt sie 2015 in einem Gespräch mit der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit".
Im Wechsel der Beziehungen
Ihre Beziehungen zu den Dichtern und Denkern sind wesentlich nachhaltiger als ihre Liebesbeziehungen. Juliette Gréco macht Erfahrungen mit Männern und mit Frauen. Als junge Frau mit 20 Jahren ist sie mit dem Jazzmusiker Miles Davis liiert. "Was kümmert mich, was die Leute denken?", antwortet sie auf neugierige Fragen. Sie heiratet dreimal. Aus erster Ehe mit dem Schauspieler Philippe Lemaire hat sie eine Tochter. Als Ehemann Nummer zwei folgt der französische Schauspieler Michel Piccoli. Seit 1988 lebt sie in dritter Ehe mit ihrem Pianisten und Komponisten Gérard Jouannest zusammen.
"Die Bühne ist meine Heimat"
Ihre Chansons "Si tu t'imagines" und "L'Éternel féminin" werden Ende der 1940er-Jahre Hits. Mit großem Erfolg interpretiert sie immer wieder auch die Chansons ihrer Kollegen Jacques Brel oder Georges Brassens. Das Publikum feiert und zelebriert ihre Auftritte in Frankreich, in Deutschland, in den USA oder in Japan. Sie bekommt Filmrollen angeboten. Für den französischen Schriftsteller, Regisseur und Maler Jean Cocteau spielt sie 1959 eine Rolle in "Orpheus". Weitere Filmauftritte folgen.
Bis heute fühlt Gréco, was sie singt: "Selbst wenn ich die Geschichte eines 16-jähriges Mädchens erzähle, glaube ich, was ich singe. Dann bin ich dieses Mädchen." Selbst im Alter störe sie das kein bisschen. Es erfordere nur viel Kraft.
Die Chansonnette und Deutschland
1959 tritt sie als eine der ersten französischen Künstlerinnen nach Kriegsende in Deutschland auf. Zuerst zögert sie, nach Deutschland zu gehen. Zu tief sitzen ihre schrecklichen Erlebnisse mit der deutschen Besatzungsmacht. Mit Tränen in den Augen habe sie damals gesungen und an Mutter und Schwester in Ravensbrück gedacht, erinnert sie sich einmal. 2005 erscheint dennoch ihre Platte "Abendlied" auf Deutsch.
Tatsächlich kommt sie nach dem ersten zögerlichen Anlauf später immer wieder nach Deutschland. Häufig tritt sie in Berlin auf. In Hamburg singt sie in der Revue "Marlene" Lieder von Marlene Dietrich und eigene Chansons. Sie gastiert bei den Schwetzinger Festspielen und feiert 1988 große Erfolge auf deutschen Bühnen.
Abgebrochene Abschiedstour
Seit zwei Jahren verabschiedet sich die "Muse der Existentialisten" von ihren Fans auf ihrer sehr emotionalen Tournee "Merci". Sie singt all das, was ihr Publikum von ihr erwartet. Darunter sind ihre großen Lieder wie "Déshabillez-moi", "Sous le ciel de Paris" und "Amsterdam" von Jacques Brel. Sie begleitet ihre Chansons mit großen Gesten, wie man es seit fast 70 Jahren von ihr gewohnt ist. In Frankfurt am Main sagt sie 2015 ihren Publikum "au revoir". Sie genießt in Dankbarkeit, die minutenlangen, stehenden Ovationen.
2016 schließlich kommt die Nachricht, dass die "Grande Dame de la Chanson" einen Schlaganfall erlitten habe. Alle Konzerte werden abgesagt. Ein Jahr zuvor hatte hatte Juliette Gréco 2015 der "Zeit" gesagt: "Ich habe keine Angst zu sterben. Ich habe nur Angst, mit dem Singen aufzuhören. Aber man muss wissen, wann eine Sache zu Ende ist. Und man muss vorher aufhören."
Am Dienstag (07.02.2017) feiert die große Chansonnette ihren 90. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch und gute Besserung!