Calcio efficiente
7. März 2018Das sind sie wieder, die Erinnerungen an die guten, alten Fußball-Zeiten. Die letzten Minuten der Partie Tottenham gegen Turin laufen - und vor dem Strafraum von Juventus bildet sich eine dichte gelb-blaue Kette. "Catenaccio" nannte man das früher, als in Italien so oft Defensiv-Fußball gespielt wurde, dass der Catenaccio ("Türriegel") stilprägend wurde. Dass das eigentlich inzwischen verpönte Konzept noch heute Anhänger hat, beweist Juventus Turin nicht nur in der Schlussphase eindrucksvoll. Schnell und geschickt verschieben sich die Spieler der alten Dame, machen die Räume eng und den Gegnern das Leben schwer. Das Interesse an eigener Spielgestaltung ist über weite Strecken des Spiels nicht besonders ausgeprägt.
Ganz anders Tottenham: Die Spurs agieren furios, die Spitzen Heung-min Son und Harry Kane spielen sich phasenweise in einen Rausch und das Publikum im Londoner Wembley-Stadion ist begeistert. Optisch wirkt es lange, als spiele Tottenham die Gegner aus Italien an die Wand. In der Vorwärtsbewegung scheint Juventus in der ersten Halbzeit wie gelähmt und meist ziemlich harmlos. Dass dies nur ein Energiesparprogramm sein könnte, ahnt zu diesem Zeitpunkt kaum jemand. Einzig ein klares Foul an Douglas Costa im Strafraum (18.) hätte Turin eine sehr schmeichelhafte Führung bescheren können.
Zwei schnell Konter bringen die Wende
Auch das 1:0 für die Tottenham Hotspurs, die den Defensivverbund von Juventus mit einer schnellen Passstaffette und einem Abstauber durch Son (39.) tatsächlich knacken können, bringt Turin nicht aus dem Konzept. In der zweiten Halbzeit braucht Juve zwar auch erstmal etwas Anlaufzeit, schaut Tottenham geduldig beim schönen, aber nicht zwingenden Kombinieren hinterher. Doch langsam tut sich im Spiel nach vorne etwas. Starstürmer Gonzalo Higuain kommt erst in der 62. Minute zu seinem ersten Ballkontakt, Juves Offensivspiel findet nun tatsächlich statt.
Und dann passiert es: Mit einem schnellen Vorstoß über den rechten Flügel schafft es der eingewechselte Stephan Lichtsteiner in den Rücken der Abwehr, flankt auf Sami Khedira und der deutsche Nationalspieler, der an diesem Abend sein 100. Pflichtspiel für Juve absolviert, legt den Ball perfekt für Higuain vor, der sich solche Gelegenheiten nicht nehmen lässt - der Ausgleich (65.). Nur drei Minuten später der nächste Schock für das britische Publikum: Higuain schickt Paulo Dybala steil und der geht im Wortsinn ab durch die Mitte. Kraftvoll und schnell überläuft er seine Gegenspieler und trifft frei vor Spurs-Keeper Hugo Lloris zum 2:1 (67.). Calcio efficiente, also Effizienz-Fußball, in Reinform.
"Wir spielen den Wettbewerb, um ihn zu gewinnen"
Nun beginnt die Renaissance des Catenaccios und Juve bringt die Führung tatsächlich erfolgreich über die Zeit, weil der englische Stürmerstar Harry Kane in der Schlussphase nur ein Wembley-Tor erzielt, welches - für jeden Fußball-Kenner eindeutig - eben kein Tor ist, sondern nur ein Ball auf der Linie. Und so gewinnt Turin am Ende mit 2:1 (0:1) ein Spiel, in dem es nicht nur optisch unterlegen ist, sondern auch die schlechteren Werte hat: weniger Ballbesitz, weniger angekommene Pässe, weniger gelaufene Kilometer, weniger Torchancen.
Aber Juventus hat am Ende drei Faktoren auf seiner Seite, die entscheidend sind: Die bessere Abwehr, die effizienteren Stürmer und mit Torwart-Methusalem Gianluigi Buffon, der fünf Bälle hält, den besseren Torhüter. "Champions League ist ein Wettbewerb, in dem man bis zur letzten Minute kämpfen muss und nie die Geduld verlieren darf", sagt Khedira nach dem Spiel im Bewusstsein der eigenen Stärke und macht die Ambition der Turiner klar: "Wir spielen den Wettbewerb, um ihn zu gewinnen. Das Ziel ist Kiew." Die simple Taktik, den Gegner sich müde rennen zu lassen und dann nach einer guten Stunde mit zwei chirurgisch präzise vorgetragenen Kontern das Spiel zu entscheiden, geht in London auf. Juventus demonstriert den aufstrebenden Spurs, wie erfolgreicher Champions-League-Fußball geht - nicht schön, aber taktisch beeindruckend.
Im zweiten Spiel des Abends verliert Manchester City zwar überraschend gegen den FC Basel mit 1:2 (1:1), kommt aber aufgrund des 4:0-Hinspiel-Erfolgs weiter.