Jüdische Gemeinden in Sorge
15. November 2015Die jüdischen Gemeinden in Deutschland begegnen der hohen Zahl an Flüchtlingen aus dem Nahen Osten mit gemischten Gefühlen. "Zum einen empfinden wir eine große Empathie, zum anderen fragen wir uns aber, welche Haltung sie zu Israel und zu Juden generell haben", sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, der Deutschen Presse-Agentur. In Ländern wie Syrien oder dem Irak sei der Antisemitismus stark ausgeprägt. "Diese Prägung legen die Menschen nicht automatisch ab, wenn sie die Grenze nach Deutschland überschritten haben."
Von den muslimischen Verbänden in Deutschland erwartet Schuster ein stärkeres Engagement gegen Antisemitismus in ihren Reihen. "Wir sollten darauf achten, dass die muslimischen Flüchtlinge primär in unsere Zivilgesellschaft integriert werden und nicht in die Fänge von muslimischen Extremisten geraten", mahnte er. Mit Schrecken beobachte er zudem den Zulauf am rechten politischen Rand. "Das muss politisch eindeutig geächtet werden", forderte er.
"Am Grundgesetz orientieren"
Eine erfolgreiche Integration sei immens wichtig, sagte Schuster weiter. "Dazu gehört für mich neben der Sprachvermittlung vor allem die Wertevermittlung, die sich am Grundgesetz orientieren muss", erklärte er. "Die Menschen müssen unseren Wertekodex akzeptieren."
Verständnis zeigte Schuster dafür, dass die Bundesregierung nach Wegen suche, die Einwanderung zu regulieren. Es dürfe nicht die Kontrolle verloren gehen. Zugleich sei aber richtig, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufnehme. "Wir gehören schließlich zu den wohlhabendsten Ländern in Europa."
An diesem Sonntag wollten die jüdischen Gemeinden am Mitzvah Day, dem jüdischen Tag der guten Tat, ein Zeichen des Willkommens setzen. In diesem Jahr gelte die Hilfe in hohem Maße den Flüchtlingen, sagte Schuster. "Gerade die jüdische Gemeinschaft weiß, was Flucht und Heimatverlust bedeuten."
"Vier Monate hintendran"
Der Berliner Rabbiner Daniel Alter hatte vor einigen Tagen gegenüber Flüchtlingen eine klare Haltung zu westlichen Werten gefordert. "Wir müssen denen, die in unserer Gesellschaft aufgenommen werden wollen, klar vermitteln, dass wir Werte haben, dass wir keine Gesellschaft im luftleeren Raum sind", sagte der Antisemitismus-Beauftragte der Jüdischen Gemeinde Berlins der "tageszeitung".
Um Werte wie das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, Religionsfreiheit und die Nichtakzeptanz jeder Form von Ungleichheitsideologie habe die deutsche Gesellschaft selbst jahrelang gekämpft. "Wir sollten gar nicht erst an den Punkt kommen, sie einfordern zu müssen", sagte Alter.
Wichtig sei Integration von Anfang an. "Eigentlich sind wir schon vier Monate hintendran", fügte er hinzu. In den arabisch-islamischen Gesellschaften gebe es ein relevantes Problem mit Judenhass und die Flüchtlinge stammten ausnahmslos aus undemokratischen, diktatorischen Verhältnissen. Dazu kämen unter ihnen geschätzt 20 Prozent Analphabeten, die anfälliger für Polemik und Manipulationen seien.
Der Zentralrat der Juden hatte sich bereits Ende Oktober bei einem Treffen mit dem CDU-Präsidium unter Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel besorgt über Antisemitismus bei Flüchtlingen geäußert. Dies gelte insbesondere für "junge Muslime".
Ein vor mehreren Wochen vom "Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus" herausgegebenes und vom Zentralrat mitfinanziertes Handbuch zum islamischen Dschihad warnt vor einer "Israelisierung Europas". Die aktuelle Situation in Israel mit ständigen Angriffen von Dschihadisten auf Menschen sei auch in Europa vorstellbar. Besonders gefährdet seien dabei Juden und jüdische Einrichtungen.
stu/SC (epd, dpa, kna)