Kölsche Vergangenheitsbewältigung
8. Juni 2014Am 9. Juni 2004 war in der überwiegend von Migranten bewohnten Keupstraße in Köln-Mülheim eine Nagelbombe explodiert. 22 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Die Ermittler glaubten lange nicht an einen rechtsextremen Hintergrund und vermuteten die Täter zunächst in der türkischen Gemeinschaft. Erst Ende 2011 wurde deutlich, dass die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wohl auch für dieses Verbrechen verantwortlich waren
Nun wird zum Jahrestag des Nagelbombenanschlags mit einem dreitägigen deutsch-türkischen Kulturfest in Köln an die Opfer erinnert. Bis Montag werden mindestens 100.000 Besucher in der Keupstraße erwartet. Das Bündnis "Birlikte" (türkisch für "Zusammenstehen") hat ein vielfältiges Programm mit Konzerten, Theater, Lesungen und Diskussionsforen zusammengestellt. An der zentralen Kundgebung am Montag will Bundespräsident Joachim Gauck teilnehmen, zu den prominenten Künstlern gehören Udo Lindenberg, Peter Maffay und die Kölner Gruppe BAP. Allein hierbei wird mit 70.000 Besuchern gerechnet.
An diesem Sonntag wird in den Geschäften und Hinterhöfen der Keupstraße vor allem fröhlich gefeiert. Das Viertel gilt als eine Sammelstelle des türkischen Geschäftslebens in der Stadt. Auf über 30 Bühnen spielt Musik, laufen Filme, wird Literatur vorgelesen. Betroffene berichten von ihren Erlebnissen. Menschen verschiedener Herkunft stehen zusammen. Stets ist der Irrtum der deutschen Behörden ein Thema. "Die falschen Verdächtigungen waren für mich der eigentliche Anschlag, fast noch schlimmer als die Tat selbst", sagt Uzay Özdag, der in einer Familienkonditorei in der Keupstraße arbeitet. Mit Kollegen hat er für das Straßenfest eine große Torte gebacken: gekrönt von Miniaturmenschen verschiedener Herkunft, die sich an den Händen halten - "Birlikte".
Der Zentralrat der Muslime begrüßte es, dass ein großer Teil Kölns gegen Rechts aufstehe und sich mit den Opfern solidarisiere. Aber die gesamte Gesellschaft müsse sich schmerzhaften Erkenntnissen stellen. Dass die Opfer lange Zeit zu Tätern gemacht worden seien "entsprang auch der gesellschaftlichen Stimmung gegenüber Muslimen und Migranten zu jener Zeit, drei Jahre nach dem 11. September". Neonazis wüssten die "geschürten Ängste vor dem Islam" auszunutzen, um im Schatten des Antiterrorkriegs zunehmend Hassparolen zu verbreiten. Dies habe einem allgemeinen Rassismus in Deutschland Vorschub geleistet. "Die Demokratie muss stets die Freiheit jedes Bürgers, ohne Ansehen der Religion oder Herkunft verteidigen", heißt es wörtlich in der Erklärung des muslimischen Zentralrats.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte, das Kulturfest sei nicht nur Erinnerung und Mahnung. Die Kölner machten damit auch deutlich, "dass Zuwanderung keine Gefahr, sondern vor allem eine große Chance für unsere Gesellschaft" sei. Maas verlangte in einem Beitrag für die "Rheinische Post" einen Mentalitätswechsel: "Deutschland ist doch längst ein Einwanderungsland. Verwaltung und Behörden müssen sich stärker für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte öffnen."
rb/cw (afp, dpa, epd, kna)