Die Polizei, dein Feind und Schläger
22. August 2015Der Mann, der auf Ahmed Abdel Ghani schoss, wohnt nur ein paar Stockwerke unter ihm. Viermal drückte der Polizist im Mai 2012 ab und traf Abdel Ghanis Beine. Der Polizist wohnt im Erdgeschoss. Jeden Tag humpelt Abdel Ghani auf Krücken an seiner Haustür vorbei in den vierten Stock, wo er wohnt. Nach fünf Operationen an seinem linken Schienbein und seinem rechten Oberschenkel braucht er noch immer Hilfe beim Laufen.
Er erinnert sich noch gut an den Tag, als es passierte. Er kam von der Arbeit nach einer langen Schicht. Er ist Bildhauer. Die Figuren stellt er stolz in seiner Wohnung aus, in der er mit seiner Mutter wohnt. Plötzlich habe der jüngere Bruder des Polizisten mit einer Gruppe Freunde vor ihm gestanden und den Eingang zu seiner Wohnung versperrt.
Ein Streit brach aus. Wenige Minuten später sei der ältere Bruder, ein Polizist, dazugekommen. Er habe Ahmed Abdel Ghani grob angefasst. Abdel Ghani habe sich dem Griff entzogen. "Dann nahm er seine Waffe raus und schoss zwei Kugeln auf mich ab." Dann konnte er seine Beine nicht mehr spüren, erzählt Abdel Ghani.
Der Polizei misstraut er inzwischen zutiefst. Doch aufgeben will er nicht: "Ich habe keine Angst vor den Polizisten, ich habe nichts Falsches getan". Bis heute habe man seinen Fall nicht bearbeitet, sagt Ahmed Abdel Ghani, nicht einmal ein Datum für einen Prozess gebe es. Und das mittlerweile drei Jahre, nachdem er den Polizisten angezeigt hat.
Polizeigewalt hat stark zugenommen
Ahmed Abdel Ghanis Schicksal ist kein Einzelfall in Ägypten. Seit Ausbruch der arabischen Revolution im Jahr 2011 haben die Fälle von Polizeigewalt stark zugenommen. Hinzu kommt, dass diese oft ungestraft bleiben. "Wir erleben derzeit die schlimmsten Jahre, was die Misshandlung von normalen Bürgern angeht", sagt Day Rahmi. Er forscht am Nadeem-Zentrum für die Rehabilitation von Opfern von Gewalt und Folter in Kairo.
289 Fälle von Folter, 272 illegale Tötungen, 119 Fälle von Verschwinden und 63 Verletzungsfälle durch rücksichtslosen Waffengebrauch der Sicherheitskräfte listet das Zentrum in seinem jüngsten Bericht auf. Und diese Vorfälle fanden alle allein im ersten Regierungsjahr des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi statt.
Das Regime wird zur Zeit von vielen Seiten kritisiert, zuletzt wegen der Verabschiedung eines strengen Anti-Terror-Gesetztes. Es schränkt nicht nur die Meinungsfreiheit für Medien und Bürger stark ein. Gleichzeitig gibt es den Sicherheitsbehörden das Recht, Zivilisten, die unter Terrorverdacht stehen, ohne gerichtliches Verfahren festzunehmen.
"Folter ist bei den Behörden institutionalisiert", sagt der Forscher Day Rahmi. "Es geht hier nicht um Einzelfälle, die von ein paar groben Polizisten verübt werden. In Polizeiwachen in ganz Ägypten sterben Menschen, nicht nur in den großen Städten."
Video von Polizeigewalt im Netz
Erst vergangene Woche tauchte im Netz wieder ein Video auf. Es zeigt, wie ein Polizist auf einen Mann in einer U-Bahnstation einschlägt. Der Mann hatte sich nur beklagt, seine Freundin sei sexuell belästigt worden. Auch die Person, die das Video aufnahm und über die Facebook-Seite eines bekannten Aktivisten verbreitete, berichtet von Drohungen.
Das Innenministerium hat schon vor einigen Wochen eine Hotline eingerichtet. Dort können sich Opfer von Polizeigewalt melden. Doch das Ministerium steht selbst hinter dem Missbrauch. Day Rahmi bezweifelt denn auch die Ernsthaftigkeit der Aktion: "Nicht ein einziger Polizist wurde bisher angemessen für ein Verbrechen, das er begangen hat, verurteilt. Selbst dann nicht, wenn es klare Videobeweise gab." Die Anfragen der DW nach einer Stellungnahme des ägyptischen Innenministeriums waren bisher erfolglos.
"Die Polizei ist korrupt"
Ahmed Abdel Ghani versucht unterdessen, dem Polizisten, der ihm die Wunden an seinen Beinen zugefügt hat, aus dem Weg zu gehen. Trotzdem sind ihm weitere unliebsame Begegnungen mit der Polizei nicht erspart geblieben, er wurde sogar erneut Opfer einer Gewalttat: "Ich saß an der Ecke unserer Gasse. Da kam ein Polizist, schlug mich ins Gesicht und fragte, ob ich Drogen verkaufe."
Die Gegend, in der Abdel Ghani wohnt, ist bekannt für Drogenhandel. Es ist ein Teil Kairos, den man als Besucher eher meiden sollte. "Es ist allgemein bekannt, dass diese angeblichen Durchsuchungen nur eine Show sind. Die korrupten Polizisten stecken mit den Drogenhändlern unter einer Decke", sagt Abdel Ghani. Mittlerweile ist er in psychologischer Behandlung. Er glaubt nicht daran, dass sich seine Situation bald ändern wird - nicht solange Straftaten von Polizisten ungestraft bleiben.