Der Chamisso-Preisträger SAID im Porträt
29. Dezember 2009
Sommer 1967, der Schah besucht Deutschland. Auch in München gehen die Studenten auf die Straße, protestieren gegen das autoritäre Schah-Regime in Teheran und gegen die deutsche Regierung, die das System hofiert. Mitten unter ihnen: der 20jährige Iraner SAID, der zwei Jahre zuvor auf Wunsch des Vaters nach Deutschland gekommen war. Zum Bauingenieur sollte er sich ausbilden lassen. Doch der junge Mann studiert Politik, Soziologie und Literatur. Und verteilt Flugblätter gegen das heimische Regime. Mitten in der Stadt, am Karlsplatz, den die Münchner Stachus nennen. Der deutsche Ort, an dem das fremde kalte Land dem Lyriker SAID zur zweiten Heimat geworden ist.
"Zu Hause haben wir oft gesehen, wie seine Majestät zum Flughafen fuhr. Die Prachtallee wurde bestückt mit Polizisten und Soldaten, alle zehn Meter ein Polizist und Soldat, um seine Majestät zu sichern", erzählt der Dichter über 40 Jahre später. "Dann komm ich hierher, der Schah kommt, und ich verteile ein Flugblatt, Titel: Der Obermetzger von Persien ist in München. Ich hatte gar keine Angst gehabt. Das war das Entscheidende für mich. Das kann ein Mensch nie vergessen, der von diesem Land kommt. Und das andere gesehen hat."
Das Glück der Bewegung
Es ist wieder kalt an diesem strahlend blauen Dezembertag in Deutschland. Der 62jährige Mann mit dem silberdurchwirkten Bart, der braun gewebten Weste unterm grob gekörnten Tweedmantel und der dunklen Baskenmütze sucht Schutz vor der Kälte und der strömenden Menschenmenge in einer Nische des Karlstors und zeigt auf die gegenüberliegende Straßenseite des rondellartigen Platzes am dicht befahrensten Punkt der Münchner Innenstadt: Dort drüben, wo der Münchner Eustachius Föderl im 18. Jahrhundert seinen legendären Stachus-Biergarten betrieb und heute ein Kaufhaus steht, sei es gewesen. Da habe er die Flugblätter verteilt. "Da habe ich zum ersten Mal in deutscher Sprache aufbegehrt", erzählt der Dichter.
Und die Stimme zittert. Nicht nur wegen der Kälte, sondern, weil das Gefühl, das da plötzlich aus der Erinnerung an die angst- und zweifelsfreien Tage jener bewegten Jahre aufsteigt, übermächtig zu werden droht. Die Bewegung habe ihn getragen, das euphorische Gruppengefühl einer Generation, die Fesseln der Unterdrückung abstreifen wollte: "Im Eifer des Gefechtes, sage ich mal, denken Sie nicht an die Angst. Sie kosten die Freude, die Freiheit, die sie plötzlich geschenkt bekommen haben. Erst nachdem die Revolte abflaute, nachdem die Prozesse begannen, nachdem die Regulierungsmethoden der Regierung uns auch spürbar bekannt wurden, da kam die Angst auf, jetzt hast Du die Chance verpasst, jetzt kannst Du nicht mehr zurück gehen nach Hause."
Was mich betrifft:
Ich bin nur ein ungebetener Gast -
Gastgeberin ist die deutsche Sprache,
Deutsch, eine neue Haut.
Deutschland, meine Art fremd zu sein.
aus: „Wo ich sterbe, ist meine Fremde“. Gedichte. Kirchheim, 1994
Nach dem Sturz des Schahs, versucht der Dichter SAID in den Iran zurück zu kehren. Entsetzt über die Intoleranz der neuen Machthaber flieht er zwei Jahre später jedoch wieder nach Deutschland. Nach München, wo er bis heute lebt und ab 1975 in den postrevolutionären Jahren der Vereinsamung in der fremden Sprache zu schreiben beginnt. Die Folgen von Heimatverlust, Unterdrückung, Folter und Terror sind seine Themen, aber auch das Wunder der Liebe und die Lust an der Schönheit, die er in unzähligen Erzählungen, Essays, Hörspielen, Romanen und Gedichten bezeugt. Auf Deutsch, weil er nur in Deutschland die iranische Zensur umgehen kann.
Die Erotik der Sprache
Um die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten der neuen fremden Sprache zu begreifen, habe er sich jedoch erst von der fixen Idee der perfekten Aussprache befreien müssen, erklärt der Poet, der sich seitdem nur noch SAID, "der Glückliche", nennt: "Ich glaube, man muss viele solche Befreiungsakte begehen, um sich in eine fremde Sprache zu begeben. Das ist wie eine Liaison, wie eine Liebesbeziehung. Man muss wollen, man muss auch demonstrieren, ich will. Man muss auch zeigen, ein paar Schritte tun. Dann kommt die Geliebte auf einen zu."
Deine Nacktheit,
versilbert durch meine Hände,
verkauft sich an den Himmel.
Aber dein Leib
Muss auf der Erde liegen,
damit er reift,
damit er verstanden wird.
aus: „Sei Nacht zu mir“. Liebesgedichte. C.H. Beck, 1998.
Jetzt wird der Dichter unruhig, möchte ein paar Schritte gehen. Nicht nur, weil sich die Kälte an diesem strahlendblauen Dezembertag in der Nische des Münchner Karlstors längst durch den Stoff des Mantels gebissen hat. Der Dichter SAID liebt die Bewegung, hasst nichts mehr als den Stillstand, die Starre. In der neuen Heimat genauso wie in der alten. Und darum erfüllt es ihn mit Hoffnung, dass nun wieder Studenten auf die Straße gehen. Weniger im Iran, wo er das Militärregime Mahmud Ahmadinidschads, zu fest verankert glaubt, als in Deutschland: "Es ist eine Starre eingetreten in Europa. Das, was die Studenten jetzt tun, die Protestbewegung zeigt, dass etwas brodelt. Hoffentlich kapieren die Politiker das, hoffentlich. Denn, was sind wir, was wären wir ohne Bewegung?"
Autorin: Marion Ammicht
Redaktion: Sabine Oelze