Kampf gegen die moderne Sklaverei
12. Februar 2004Vor Jahren standen noch Asiatinnen an der Spitze derjenigen Frauen, die illegal in Deutschland der Prostitution nachgingen - oder besser gesagt: dazu gewungen wurden. Heute greift die Polizei immer mehr Frauen aus mittel- und osteuropäischen Länder auf, die mit großen Versprechungen von Kriminellen nach Deutschland gelockt wurden. Menschenhandel heißt das Delikt. Seit Jahren arbeitet das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden mit den betroffenen Ländern zusammen. Intensivere Kontakte gibt es jetzt mit Litauen, denn dort "blüht" geradezu der Menschenhandel.
Im Jahre 2002 konnte das BKA insgesamt 811 Opfer von Menschenhandel ausmachen. 15 Prozent von ihnen kamen aus Litauen. Und damit bilde das Land mittlerweile die Spitze der Menschenhandelsdelikte in Deutschland, wenn die Anzahl der weiblichen Bevölkerung Litauens im Alter zwischen 15 und 30 Jahren zu Grunde gelegt werde, sagt BKA-Kriminaldirektor Richard Karl Mörbel: "Es hat sicherlich etwas mit der wirtschaftlichen Entwicklung zu tun, es hat etwas mit der Nähe zu tun auch zum Westen." Natürlich sei für eine Litauerin die Idee in den Westen zu gehen naheliegender als für eine Russin, die hinter dem Ural zu Hause ist.
Eine halbe Million Betroffene?
Die Mehrzahl der osteuropäischen Frauen, die von Menschenhändlern aus ihren Heimatländern nach Westeuropa gelockt werden, bleiben unerkannt. Wie viele Frauen im Netz organisierter Banden festgehalten werden, weiß niemand so genau. Die Schätzungen für Europa bewegen sich bei 500.000. Nach einer Analyse des Europarats sind die Profite der Zuhälter und Schleuser in den vergangenen zehn Jahren um 400 Prozent gestiegen. Eine Frau erwirtschaftet ihren - zumeist deutschen - Peinigern im Schnitt 120.000 Euro im Jahr. Von den festgestellten 811 Opfern des Menschenhandels waren 158 Frauen damit einverstanden auf den Strich zu gehen.
Internationale Zusammenarbeit
Das Bundeskriminalamt in Wiesbaden arbeitet mit verschiedenen Behörden und Organisationen der am meisten betroffenen Länder eng zusammen. Zuletzt habe es Gespräche mit Litauen gegeben, berichtet Mörbel: "Wir arbeiten beispielsweise mit der GTZ, mit der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit zusammen, aber auch mit mit Polizeibeamten, Staatsanwälten und Nicht-Regierungs-Organisationen, um auf das Problem aufmerksam zu machen und die Kollegen zu schulen."
Menschenhandel sei ein Gewaltdelikt, das unabsehbare Schäden bei den Opfern verursache, sagt Kriminaldirektor Mörbel. Daher sei eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit über Grenzen hinweg erforderlich. Frauen aufklären und das Bewusstsein schaffen für mögliche Gefahren, hätten oberste Priorität. Viele würden durch Anzeigendort in der Zeitung angelockt, in denen für Au-pair-Stellen oder Arbeitsmöglichkeiten in Bars in Deutschland geworben werde. Aber: "Nicht jede Frau, die hierher gebracht wird, ist völlig blauäugig. Da gibt es durchaus Prostituierte, die hierher kommen und glauben, dass sie hier viel Geld verdienen - und die keine Vorstellung davon haben, dass sie hier gehalten werden wie Sklaven."
Schwerpunkt Osteuropa
87 Prozent aller Opfer kommen mittlerweile aus den mittel- und osteuropäischen Staaten. Viele Russinnen sind darunter. Einen geringen Anteil nähmen Frauen aus Lettland ein, berichtet Mörbel, das sei auf die intensive Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt und den lettischen Strafverfolgungsbehörden zurückzuführen. Zunehmend bereite Bulgarien große Probleme: Seit 2001 können Bulgaren ohne Visum nach Deutschland kommen und exakt seit diesem Zeitpunkt ist der Anteil bulgarischer Frauen, die in Deutschland zur Prostitution gezwungen werden, massiv angewachsen - dass gilt nicht nur für Deutschland, sondern gilt auch für unsere Nachbarländer. "Wir arbeiten beispielsweise mit den Kollegen aus den Niederlanden, aus Belgien aus Großbritannien zusammen, weil bulgarische Menschenhändler-Organisationen auch dort aktiv", sagt Mörgel. "Wir wollen gemeinsam mit bulgarischen Polizeibeamten versuchen, dort Einfluss zu nehmen, zu versuchen, dass zurückzudrängen und wir haben deswegen auch im letzten Jahr bulgarische Kollegen hier gehabt."
Damit könnte zumindest ein Loch im Netz des Kampfes gegen den Menschenhandel gestopft werden. Doch das nächste wartet schon. Mörgel weiß es - und versucht gegenzusteuern. "Wahrscheinlich werden wir dieses Jahr zusammen mit der GTZ auch ein Programm für Rumänien machen."