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Kampf um Baidschi

Birgit Svensson, Kirkuk26. August 2014

Iraks größte Raffinerie ist seit Wochen hart umkämpft. Rund um die Anlage in Baidschi macht die IS-Terrormiliz Jagd auf Polizisten und Soldaten. Geflohene Bewohner der Stadt berichten von der Lage in Baidschi.

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Rauchsäule über Baidschi (Foto: EPA)
Bild: picture-alliance/dpa

Ahmed ist völlig niedergeschlagen. In seinem abgewetzten Trainingsanzug sitzt er auf dem Boden einer Wohnung in Kirkuk, die ihm nicht gehört und in der er nur vorübergehend Unterschlupf gefunden hat. Seine Frau und die drei Kinder sind verstreut bei Verwandten in den kurdischen Autonomiegebieten untergekommen. "Wir haben alles verloren", stöhnt der 35-jährige Iraker. "Unser Haus in Baidschi haben sie zerbombt, nichts ist mehr übrig geblieben." Das Einzige, was der Familie noch bleibt, ist das nackte Leben.

Viele andere Bewohner der Erdölstadt sind hingegen von den vorrückenden Kämpfern der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) umgebracht worden. "Zuerst haben sie niemandem etwas zuleide getan", erzählt Ahmed. Gleich nach dem Überfall auf Tikrit am 12. Juni seien die Dschihadisten auch in der 45 Kilometer entfernten Stadt Baidschi eingerückt. Die Einwohner hätten sie wohlwollend begrüßt. "Sie haben mit uns gesprochen, Benzin, Lebensmittel und Süßigkeiten verteilt." Jetzt, gut zwei Monate danach, sei alles anders. Die Terroristen hätten herausgefunden, wer von der Polizei oder der irakischen Armee sei. "Sie bringen uns um, entführen unsere Frauen und Kinder oder bombardieren unsere Häuser." Ahmed ist Polizist und musste daher schnell weg. Aus Angst möchte er nicht seinen vollen Namen nennen und auch nicht fotografiert werden.

Hoher Blutzoll

Seit Wochen tobt ein heftiger Kampf um die größte Ölraffinerie des Landes. Von drei Seiten aus griffen die islamischen Gotteskrieger die Industrieanlage in Baidschi am Sonntag (24.08.2014) zum wiederholten Male an. Schon im Juni war es ihnen gelungen, in den weitläufigen Raffineriekomplex einzudringen. Nach heftigen Kämpfen hatten die Regierungstruppen die Terroristen jedoch wieder aus der Anlage vertrieben. Der Blutzoll war hoch. Seitdem haben die IS-Kämpfer einen Belagerungsring um die Stadt gezogen und kontrollieren dort die Pipelines der Raffinerie ins Umland. Durch eine der Leitungen fließt eigentlich Rohöl aus den Quellen von Kirkuk zur Anlage in Baidschi, in einer zweiten wird normalerweise raffiniertes Rohöl zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan gepumpt. Der Betrieb der Anlage ist somit unmöglich.

Propagandabild von IS-Kämpfer (Foto: Abacapress)
Kämpfer der IS-Terrormiliz: Kontrolle über Raffinerie-PipelinesBild: picture-alliance/abaca

Ahmed weiß, dass nur etwa hundert Mitglieder einer Spezialeinheit der irakischen Armee geblieben sind, um den Komplex verteidigen. Am Montag konnten sie erneut ein Eindringen der IS-Kämpfer verhindern und den Angriff wieder zurückschlagen. "Meistens preschen die Terroristen auf das Gelände der Raffinerie vor", berichtet ein höherer Beamter des Innenministeriums in Bagdad über die diversen Versuche, die Anlage einzunehmen. Die IS-Kämpfer würden dann aber durch Gewehrsalven der irakischen Sicherheitskräfte und Hubschrauberverstärkung wieder zurückgedrängt.

Tankstellen ohne Benzin, die Generatoren ohne Kerosin

Wäre Baidschi nicht der Standort für Iraks wichtigste Ölraffinerie, würden nur wenige die Stadt mit ihren 60.000 Einwohnern kennen. Wer früher die Strecke von Bagdad in den Norden nach Mossul fuhr, legte meist nach 180 Kilometern in Baidschi eine Pause ein - zum Tanken. Das Benzin kam aus der Raffinerie, dem größten Arbeitgeber der Region. Von Baidschi ist die Treibstoffversorgung weiter Teile des Nordiraks abhängig. Mit einer Verarbeitungskapazität von 310.000 Fass Rohöl pro Tag deckte die Raffinerie mehr als ein Drittel des Inlandsbedarfs. Ihren Ausfall bekommt vor allem die Millionenstadt Kirkuk drastisch zu spüren. Seit Wochen schon sind dort die Zapfsäulen der Tankstellen ohne Benzin, die Generatoren ohne Kerosin.

Rauchwolken über dem Raffineriestandort Baidschi (Foto: picture alliance/dpa)
Rauchwolken über dem Raffineriestandort Baidschi: Der Betrieb der Anlage ist unmöglichBild: picture-alliance/dpa

Wenn der Strom ausfällt, sitzen die Menschen in über 40 Grad Hitze. Wer es sich leisten kann, kauft Treibstoff auf dem Schwarzmarkt. Straßenhändler mit zweierlei Kanistern - einen für Benzin, den anderen für Kerosin - gehören in Kirkuk jetzt zum Stadtbild. Der Liter kostet 1500 Dinar (etwa ein Euro), ein Dreifaches des ursprünglichen Preises. Die Schwarzhändler sagen, das Benzin komme aus der Türkei.

Schon einmal war Baidschi zum umkämpften Objekt geworden. Im Herbst 2003, nach dem Einmarsch amerikanischer und britischer Truppen, wurde die Stadt zum Anziehungspunkt für Aufständische. Immer häufiger mussten Einheiten der Koalitionstruppen für Ruhe sorgen. Damals zogen die US-Truppen einen weitläufigen Ring um die Raffinerie. Gut abgesperrt und schwer bewacht, waren die Aufständischen mit direkten Angriffen wenig erfolgreich. Sie wichen auf Sabotageakte gegen die Pipelines aus, die schwieriger zu schützen sind. Auch Entführungen von Arbeitern häuften sich.

"Islamischer Staat" will Funktionsfähigkeit der Anlage offensichtlich bewahren

Am 24. Januar 2006 wurden in Baidschi die deutschen Ingenieure René Bräunlich und Thomas Nitzschke gekidnappt. Die beiden Leipziger kamen nach 99 Tagen Geiselhaft wieder frei. Während damals die Aufständischen mit Al Kaida an der Spitze auch vor Sprengstoffattacken auf die Industrieanlage nicht zurückschreckten, will die IS-Miliz die Funktionsfähigkeit der Anlage offensichtlich bewahren. Das von den Terroristen ausgerufene Kalifat braucht dringend eine Raffinerie, um Rohöl, das auf seinem Territorium gewonnen wird, zu verarbeiten. So scheint die Taktik der Terrortruppe heute eine andere zu sein: Sie greifen so lange an, bis es klappt.

Auch Ahmeds Kollege Mahmud - der ebenfalls nicht seinen ganzen Namen nennen möchte – ist die Flucht nach Kirkuk gelungen. Er berichtet, dass IS-Kämpfer jetzt Flugabwehrwaffen auf Pick-up-Fahrzeugen einsetzen würden. Ihr Ziel sei es, die Flüge zu stoppen, die die Regierungstruppen in der Raffinerie versorgen. Es müssten mittlerweile zeitgleich vier Hubschrauber eingesetzt werden: Einer lande dann im Inneren der Raffinerie, wo sich die Soldaten befänden, und zwei oder drei sicherten den Transport mit Maschinengewehren ab. Sollten die IS-Kämpfer eines Tages die Geduld verlieren, befürchtet Polizist Mahmud, dass sie mit Mörsergranaten und Raketen angreifen. Dann allerdings werde die Raffinerie zerstört. An seinem Zufluchtsort Kirkuk fühlt sich Mahmud bislang noch sicher. Sollte die IS-Miliz allerdings auch hier einfallen, wüsste er nicht mehr weiter.