Kampf ums Öl
30. September 2004Nach wochenlangen Gefechten hat die Miliz "Freiwilligenarmee des Nigerianischen Deltavolks" der nigerianischen Regierung regelrecht den Krieg erklärt: Am Freitag, den 1. Oktober, werde der Kampf beginnen, hieß es in einer Erklärung. Alle Ölfirmen sollten die Produktion einstellen, und alle Ausländer das Niger-Delta verlassen. Inzwischen hat der britisch-niederländische Ölkonzern Shell aus Sicherheitsgründen eine große Ölförderanlage im Niger-Delta geschlossen. Außerdem will der Konzern seine Mitarbeiter besser schützen.
Öl verschwindet
Das ist auch nötig, denn die Gewalt in Nigeria nimmt immer größere Ausmaße an. Die Milizen kaufen ihre Waffen mit "gebunkertem" Öl. Jeden Tag verschwinden rund acht Millionen Liter Rohöl aus nigerianischen Pipelines. Zu diesem Ergebnis kam die Sicherheitsfirma WAC Global Services in der von Shell in Auftrag gegebenen Studie "Frieden und Sicherheit im Niger-Delta". Das abgezapfte Öl entspricht knapp sieben Prozent der täglichen Fördermenge. Vor einiger Zeit verschwand sogar ein Öltanker samt Inhalt.
Das Öl fließt in die Hände regionaler Milizen, die es gegen so genannte Petrodollar auf dem internationalen Schwarzmarkt verkaufen. Von dem Geld rüsten sich die Milizen gegeneinander auf. Seit einigen Wochen stehen sie sich nun in und um die Hafenstadt Port Harcourt, dem Zentrum der nigerianischen Ölproduktion, mit Schnellfeuergewehren und Panzerfäusten gegenüber. Präsident Olusegun Obasanjo versucht die Ölunternehmen zu beruhigen, und demonstriert Härte mit Luftangriffen auf dicht besiedelte Gebiete südlich der Hafenstadt.
ai warnt vor Eskalation
"Die Regierung spielt die Gefahr herunter", sagt George Ngwa, Afrika-Pressesprecher von Amnesty International (ai) in London, im Gespräch mit DW-WORLD.DE. "Die Milizen sind stark bewaffnet und können diesen Krieg gegen das Militär führen. Wir gehen davon aus, dass noch mehr Menschen getötet werden." Seit Ausbruch der Kämpfe im August seien 500 Menschen getötet worden und Tausende auf der Flucht, so die Menschenrechtsorganisation.
Das ölreiche Niger-Delta macht Nigeria zum größten Ölproduzenten Afrikas: Es deckt zehn Prozent des US-amerikanischen Rohölbedarfs ab. Das Öl fließt in den Pipelines aber buchstäblich an der Bevölkerung vorbei: Rund 70 Prozent der Nigerianer leben unter der Armutsgrenze. Die rivalisierenden Milizen der Region fordern eine höhere Beteiligung ihrer jeweiligen Bevölkerungsgruppen an den nigerianischen Petrodollars. Sie kämpfen gegen das Militär, aber auch gegeneinander um die territoriale Kontrolle. So hoffen sie, Ansprechpartner für die ausländischen Ölkonzerne zu werden.
"Shell ist Bestandteil des Konfliktsystems"
Entsprechend kommt die WAC-Studie zu dem Schluss: "Shell ist in Nigeria ein integraler Bestandteil des Konfliktsystems im Niger-Delta." Und: "Das Verhalten von Shell und seinen Angestellten trägt zu Konflikten bei und verschärft sie." Der Konzern Royal Dutch/Shell produziert fast die Hälfte der täglichen nigerianischen Fördermenge und ist damit einer der größten Produzenten im Land.
Zehn Jahre nach dem Skandal um die Hinrichtung des nigerianischen Schriftstellers und politischen Aktivisten Ken Saro-Wiwa ebbt die Kritik an Shells Nigeria-Aktivitäten nicht ab. Zuletzt soll ein einheimischer Dorfchef der Ethnie Ogoni von einer britischen Firma, die im Auftrag von Shell Pipelines reinigen sollte, bestochen worden sein. Gegen den Widerstand der Bewohner wurden die Rohre gereinigt. Jetzt ist die Ernte der Bauern mit schwarzem Öl überzogen.
"Die Zivilbevölkerung steht zwischen den Fronten", sagt ai-Mitarbeiter Ngwa. "Die Menschen sind gegen die Milizen, aber auch gegen die Konzerne, weil das Trinkwasser verseucht ist und die Fischer tote Fische aus dem Wasser ziehen."