Kein eindeutiger Sieger, keine Siegerin
29. August 2021Die Fernsehdebatte läuft kaum fünf Minuten, da kracht es zwischen den drei Politikern. Annalena Baerbock von den Grünen, Armin Laschet (CDU) von der Union und Olaf Scholz (SPD) - jeder der drei will ins Kanzleramt. Und nur einer oder eine kann gewinnen.
Nach diesen knapp fünf Minuten kommt die Frage auf Afghanistan. Und die Höflichkeit des Warmlaufens ist bei den dreien dahin. Da redet Laschet gegen Scholz, Scholz gegen Laschet, Baerbock gegen Laschet, Baerbock gegen die beiden, deren Parteien derzeit die Bundesregierung stellen. Es werden 15 Minuten, die dann doch eher der Situation der Bundeswehr als der Thematik Afghanistan gelten und Unterschiede deutlich machen.
Die Entwicklung in Afghanistan sei "ein Desaster" für den Westen insgesamt, aber auch für die Bundesregierung, betont Laschet. Alle drei sehen Nachholbedarf bei der Ausrüstung der Bundeswehr. Laschet thematisiert dabei die Bedeutung bewaffneter Drohnen und wirft der SPD in dieser Frage Blockadehaltung vor. Beide Herren beschuldigen einander, mehr Geld für die Finanzierung der Bundeswehr verhindert zu haben. Baerbock spricht davon, dass die Bundesregierung sich beim Thema Afghanistan weggeduckt habe. Es bleibt übrigens, für knapp 15 von 110 Minuten, das einzige halbwegs außenpolitische Thema. Lediglich auf der Schlussgeraden streifen Baerbock und Scholz bei der Frage, ob die Linkspartei koalitionsfähig sei, kurz die Außenpolitik. Letztendlich gaben beide keine eindeutige Antwort.
Beginn der heißen Phase
Vier Wochen sind es noch bis zum Wahlsonntag. Am 26. September wird der 20. Deutsche Bundestag gewählt. Das Aufeinandertreffen zur besten abendlichen Sendezeit von - erstmals überhaupt - dreien im Ringen um die Kanzlerschaft, zwei Männer und eine Frau, läutet auf den TV-Sendern ntv und RTL die heiße Phase des Wahlkampfes ein. Bei Umfragen ist Scholz der mit Abstand beliebteste Politiker der drei, Laschet der unbeliebteste. Parteipolitisch sieht es derzeit danach aus, dass die Grüne weniger Chancen als die beiden Männer hat, den Auftrag zur Regierungsbildung zu bekommen und damit die Perspektive auf das Kanzleramt zu haben.
Bei der medialen Beschreibung der Debatte sollte die Kleidung eigentlich keine große Rolle spielen. Aber das würde Olaf Scholz nicht gerecht. Baerbock und Laschet tragen ähnliches gedecktes Blau, Laschet ergänzt um eine optimistisch hellblaue Krawatte. Scholz steht da im fast glänzenden schwarzen Anzug mit schwarzer Krawatte. Das wirkt mindestens so festlich wie seriös. Das Seriöse ist des Sozialdemokraten Rolle an diesem Abend. So wie Scholz, der Vizekanzler, im bisherigen Wahlkampf nicht selten geradezu staatsmännisch auftritt.
Ja? Nein?
Besonders interessant wird es, wenn die beiden Moderatoren, Pinar Atalay und Peter Kloeppel, sogenannte "Ja/Nein-Fragen" stellen. Da soll es keine ausführliche Antwort geben, es geht um ein Bekenntnis. Thema Impfpflicht im Kampf gegen Corona: Baerbock schließt sie nicht aus, Laschet und Scholz sagen dagegen sehr prompt "nein". Eine 3G-Regelung im öffentlichen Fernverkehr, also die Verpflichtung, nur noch geimpft, genesen oder getestet Züge zu benutzen? Scholz und Baerbock sind beim "Ja", Laschet legt sich nicht fest wegen offener praktischer Fragen.
Letztes Beispiel von mehreren: Sollen die Deutschen eher an der Ostsee als auf Mallorca Urlaub machen? Da sagen alle drei nein. Aber nur Scholz formuliert es geradezu preußisch wie Friedrich der Große: "Jeder, wie er glücklich ist". Scholz ist auch derjenige, der am ehesten bei einem Thema sagt, da seien alle drei doch ziemlich nah beieinander.
Was auffällt, wenn denn mal wirklich gestritten wird: Am ehesten sticheln Baerbock und Laschet gegeneinander. Mal sagt der CDU-Mann über die grüne Frau "Sie haben da ein paar Dinge in die Luft geworfen" oder "jetzt mal ganz langsam" und wirft ihr vor "Sprüche zu machen". Die Kandidatin wirft dem Kandidaten vor, Sprechzettel vorzutragen oder "keinen Plan" zu haben. Zwischen den beiden wird das "Triell" gelegentlich zum Duell. Beide gehen Scholz dagegen nicht stark an. Und der Sozialdemokrat steigt in solche Nickeleien nicht ein. Das würde zum schwarzen Anzug auch nicht passen.
Kanzlerduelle seit 2002
Tatsächliche "Kanzlerduelle" gibt es im deutschen Fernsehen erst seit knapp 20 Jahren regelmäßig vor der Bundestagswahl. Damals trafen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Unions-Herausforderer Edmund Stoiber (CSU) zwei Mal aufeinander. Seitdem gibt es stets ein oder zwei "Duelle", um die im Vorfeld stets gerungen wurde und die mit Blick auf den weiteren Verlauf des Wahlkampfs und den Wahlausgang eifrig analysiert wurden.
Aber noch nie gab es einen Wettstreit ohne einen amtierenden Regierungschef. Stets trafen Amtsinhaber oder -inhaberin und Herausforderer aufeinander. Und: Noch nie strebten drei Kandidaten mit Chancen ins Kanzleramt und trafen sich zum "Triell". Der Begriff ist so neu, dass er nicht einmal im Duden steht.
Bei mehreren innenpolitischen Themen macht Laschet inhaltlich den deutlichsten Aufschlag und verbindet das elegant mit Kritik an Rot und Grün. Bei der Steuerpolitik, der Industriepolitik, dem Gendern, dem Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Da führt er Details weit häufiger an als seine Mitstreiter. Aber mehrmals erwidern diese darauf recht gelassen mit Hinweisen auf faktisch andere politische Gemengelagen, als sie von Laschet dargestellt werden. Das gilt beispielsweise für Baerbock beim Thema Klimaschutz, für Scholz bei europäischen Vorgaben für den Datenschutz. "Sie haben sich da jetzt verheddert", sagt Scholz, bevor er seine Sicht der Dinge schildert.
"Erneuern"
Insgesamt 110 Minuten dauert die Debatte, die zum munteren, eigentlich nie hässlichen Streit wird. Jede der drei hat Passagen, an denen er oder sie punktet. "Ich glaube, wir müssen unser Land wirklich erneuern", sagt Baerbock als überhaupt ersten inhaltlichen Satz der Debatte. Und bei mehreren Themen kommt sie darauf zurück, das Problem sei die Grundhaltung von Union und SPD in der großen Koalition: "Warten wir lieber mal ab…".
Laschet spricht, gerade beim Thema Corona, als Landeschef, der so oft in den vergangenen 20 Monaten abwägen musste. Das kommt des öfteren: seine Führungsrolle im wichtigen Bundesland Nordrhein-Westfalen. Scholz gibt sich, passend zum schwarzen Anzug, am ehesten präsidentiell. Wenn ihn einer vom Moderations-Duo unterbricht, beginnt er seinen Satz mit strenger Ruhe neu.
Eine Meinungsumfrage am Abend nach der Debatte sieht Scholz vorn. Aber nicht alle Beobachter teilen diese Bewertung. Das Triell wird seine Fortsetzung finden. Am 12. und am 19. September treffen die drei auf anderen TV-Sendern noch zwei Mal zusammen.