EU-Streit um Kaukasus
5. September 2008Die Außenminister der Europäischen Union begannen ihre Beratungen am Freitag (05.09.2008) im südfranzösischen Avignon nicht mit dem eigentlichen Kernthema, der Kaukasuskrise und Russland, sondern mit den transatlantischen Beziehungen. In den USA sind die Kandidaten für die Präsidentenwahl gekürt, da müsse man schon einmal überlegen, welche politischen Änderungen sich ergeben könnten, sagte ein EU-Diplomat.
Steinmeiers Forderung
Doch da in der Politik alles mit allem zusammenhängt, beraten die 27 Außenminister, welche Auswirkungen die unterschiedlichen Positionen in der Kaukasuskrise auf das europäisch-amerikanische Verhältnis haben. Zwar wollen die USA und die Europäer gemeinsam die Souveränität Georgiens wieder herstellen, aber unverkennbar ist, dass die USA derzeit gegenüber Russland eine härtere Haltung einnehmen. Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier forderte auch die Rolle Georgiens in diesem Konflikt näher zu untersuchen: "Wenn wir jetzt daran gehen in einer zweiten Phase, über die Entwicklung der Beziehungen zu den Konfliktpartien, ich meine Russland und Georgien, nachzudenken, Entscheidungen zu treffen, dann ist schon wichtig, wer mit welchen Ursachenanteilen an der Eskalation bis hin zur bewaffneten Auseinandersetzung beteiligt war."
Auch der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn warnte davor, die Schuld an der Krise nur bei Russland zu suchen. Auch Georgiens Rolle müsse geklärt werden: "Ich glaube, dass Präsident Saakaschwili eine Verantwortung trägt. Und wir werden in der Öffentlichkeit, weder ihr Journalisten noch wir Politiker unsere Ruhe haben, wenn wir nicht wissen, was bis zum achten August klar geschehen ist, wer und wie die Mechanismen, die zu diesem Krieg führten, ausgelöst wurden."
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier wiederholte seinen Vorschlag, einen Stabilitätspakt für die gesamte Kaukasus-Region zu organisieren. Ein ähnliches Stabilitätskonzept habe letztlich auch auf dem Balkan erfolgt gehabt.
Ukraine in die Nato?
Bei der Aufnahme der instabilen Ukraine in die Nato und in die EU drängen die USA zur Eile, während viele europäische Staaten bremsen. Beim bevorstehenden EU-Ukraine-Gipfel in der kommenden Woche will die Europäische Union die Verhandlungen über ein Partnerschafts- und Freihandelsabkommen verstärken. Die eigentliche Mitgliedschaft hängt aber von strikten Kriterien ab, die die Ukraine, die derzeit wieder in einer Regierungskrise steckt, noch nicht erfüllt. Benita Ferrero Waldner, die EU-Kommissarin für Nachbarschaftspolitik sagte: "Ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir alles tun, die Ukraine zu stabilisieren. Je stärker wir die Ukraine an die EU binden, desto stabiler wird sie sein. Das versuchen wir mit unserem neuen Abkommen."
"Waffengewalt gegen Russland"
Die USA unterstützen vorbehaltlos die baltischen Staaten. Notfalls müsse die Nato Lettland, Litauen und Estland auch mit Waffengewalt gegen mögliche russische Übergriffe verteidigen, betonte der neue amerikanische Nato-Botschafter Kurt Volker in einem Interview in Brüssel. Auch Großbritannien, Polen und Schweden sind für eine harte Haltung gegenüber Moskau. Deutschland, Frankreich und Italien setzen eher auf moderate Töne. Einige EU-Diplomaten befürchten schon eine Spaltung der Europäer in neue und alte Mitgliedsstaaten, wie das beim Irakkrieg vor fünf Jahren der Fall war.
Der Außenbeauftragte der EU, Javier Solana, kündigte an, die EU sei bereit, sofort eine Mission mit Militärbeobachtern nach Georgien und in die abtrünnigen Provinzen zu schicken, um den Waffenstillstand und den Abzug der russischen Truppen zu überwachen: "Wir werden diskutieren, wie wir die Mission gestalten. Ich denke, die praktische Seite ist fertig, die Planung ist bereits im August abgeschlossen worden. Wir sind bereit. Jetzt müssen nur wissen, wann, mit welchem Mandat. Das wird möglicherweise Montag entschieden."
Sarkozy trifft Medwedew
Am Montag trifft der EU-Ratsvorsitzende und französische Ratspräsident Nicolas Sarkozy den russischen Präsidenten Dmitri Medwedew. Sie interpretieren das Waffenstillstandsabkommen für Georgien unterschiedlich. Die EU sieht anders als Russland den versprochenen Truppenabzug aus Georgien noch nicht als vollzogen an. Die Verhandlungen mit Russland über ein neues Partnerschaftsabkommen liegen solange auf Eis.
Die USA und die EU müssen nicht nur in der Kaukasuskrise sondern bei vielen anderen Konflikt- und Krisenherden zusammenarbeiten. Das gilt für den schwieriger werdenden Einsatz in Afghanistan genauso wie für den Atomstreit mit Iran oder die ungelöste Frage, wie es mit dem unabhängigen Kosovo weitergeht. Wie der neue Präsident heißt, ob John McCain oder Barack Obama, wird an der grundsätzlichen Ausrichtung der US-Außenpolitik nicht viel ändern, glaubt zumindest der US-Nato-Botschafter in Brüssel Kurt Volker. Bundesaußenminister Steinmeier hofft auf einen Wandel: "Wir gehen davon aus, wer immer Präsident aus der Wahl hervorgeht, auch mit neuen Initiativen auf die Europäer zukommt. Ich würde mich freuen, wenn das was ich die Erneuerung der transatlantischen Agenda genannt habe, Klimaschutz, Energiepolitik, wenn sich das im Spektrum der amerikanischen Politikangebote im nächsten Jahr wiederfinden würde."
Der französische Außenminister und Gastgeber im mittelalterlichen Papstpalast in Avignon, Bernard Kouchner, sagte trotz vieler notwendiger Meinungsverschiedenheiten in Einzelfragen seien die USA und die EU im Großen und Ganzen auf einer Linie.
Versorgungssicherheit
Solana plädierte in Avignon dafür, das sicherheitspolitische Konzept der EU aus dem Jahr 2003 der neuen Lage anzupassen. Vor allem die Versorgungssicherheit mit Energie aus Russland, Zentralasien und dem Nahen Osten müsse mehr Gewicht bekommen als bisher. Die Abhängigkeit der EU von russischen Energieexporten wird nach Einschätzung der Internationalen Energie Agentur weiter wachsen. Der Versuch Russlands auf den Energielieferanten Aserbaidschan mehr Einfluss zu nehmen, müsse verhindert werden, mahnte Solana. In den übrigen Kaukasus-Staaten und den benachbarten zentralasiatischen Republiken, alles frühere Sowjetrepubliken, werde das russische Vorgehen sehr genau und kritisch beobachtet.