Kaum Terrorangst auf Weihnachtsmärkten
22. November 2015"Zum Gedenken an die Opfer der Terroranschläge von Paris", steht auf einer Kerze geschrieben, die jemand vor den Sockel der Beethovenstatue auf den Boden gelegt hat, umringt von einem Dutzend Grableuchten und durchnässten Rosen. Das Arrangement steht schon eine Weile hier und ist fast nicht zu sehen - denn ein Spalier mannshoher Weihnachtsbäume begrenzt den Bonner Münsterplatz.
Der Weihnachtsmarkt hat begonnen mit seinen typischen Holzbuden, in denen Glühweinverkäufer, Wurstbräter und Kunsthandwerker versuchen, schon Ende November Vorweihnachtsstimmung zu verbreiten. Obwohl es nieselt und ungemütlich kalt ist an diesem Nachmittag, schlendern einige Leute über den Platz. Der Geruch von Lebkuchen und frittiertem Schmalzgebäck liegt in der Luft.
Ängste wegschieben
Gerade mal eine Woche ist es her, dass in Paris rund 130 Menschen bei einem Terrorangriff getötet wurden. Wenige Tage später wurde in Hannover das Fußballstadion vor einem Länderspiel geräumt.Es soll konkrete Hinweise auf einen Bombenanschlag gegeben haben. Bundesinnenminister Thomas de Maizière erklärte danach, dass auch in Deutschland Terrorgefahr bestehe. Vielfach wird die Befürchtung geäußert, Weihnachtsmärkte könnten - als Symbol christlichen Glaubens - zum Ziel islamistischen Terrors werden. Doch das beindruckt hier in Bonn wenige.
"Nach Hannover muss man schon der Realität ins Auge schauen, dass eine Gefahr besteht. Aber eigentlich ist es das Ziel der Terroristen, Schrecken zu verbreiten und da mache ich einfach nicht mit", sagt Manuel Müller. Er und sein Kumpel Mike schieben ihre Fahrräder durch die schmale Gasse zwischen den Buden. Sie kommen gerade aus der Uni. Mike sieht das ähnlich. Er hat gehört, dass auf den Weihnachtsmärkten mehr Polizisten stehen. Aber die Beamten als sichtbares Zeichen dafür, dass es Anschläge geben könnte, schrecken ihn nicht ab.
Markt unter Polizeischutz
Der Bonner Weihnachtsmarkt zählt zu den ersten der Saison. Die meisten Märkte in Deutschland eröffnen eine Woche später. Daran soll sich auch nach Paris nichts ändern. Anders in Frankreich: Der 445 Jahre alte Traditionsmarkt in Straßburg sollte aus Angst vor Anschlägen erst abgesagt werden. Nun findet er doch statt, in abgespeckter Version und streng bewacht von Polizei und Militär. Auch die Bonner Polizei hat auf die Ereignisse in Paris reagiert, wenn auch zurückhaltend. Die Zahl der Beamten, die auf dem Weihnachtsmarkt Streife gehen, hat sie auf ein Dutzend aufgestockt. Zusätzlich hat sie drei Lautsprecheranlagen aufgestellt, um den Platz im Falle eines Terrorangriffs schnell räumen zu können.
Am Polizeistand neben der Bonner Münsterkirche hat sich unterdessen eine Menschentraube gebildet - hier informieren der Bonner Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan und Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa Presse und Öffentlichkeit über Sicherheit auf dem Weihnachtsmarkt. Die Polizeipräsidentin mahnt: "Weihnachten ist das Fest des Friedens. Wir dürfen uns unseren Lebensstil und unsere Lebensfreude nicht abstellen lassen." Es gebe eine "abstrakte Gefahr", aber keine konkreten Hinweise auf Terroristen.
Als größeres Problem sieht sie offenbar Taschendiebe im Menschengetümmel. Ein Polizist demonstriert, wie ein kleines Glöckchen an Reißverschluss oder Handy den Besitzer warnt, wenn ein Dieb sich an Tasche oder Rucksack zu schaffen macht. Der Polizist hat sichtlich Spaß daran.
Wirtschaftsfaktor Weihnachtsmarkt
Yumi Jang kommt aus Südkorea und ist zum ersten Mal auf einem Weihnachtsmarkt. Warm eingepackt mit Kapuze und Schal läuft sie durch den Nieselregen und macht mit ihrem Smartphone Fotos von dem mit Kunstschnee und Rentieren bedeckten Dach einer Bude. "Ich habe Angst, aber ich bin gerade auf Reisen und möchte nicht auf den Weihnachtsmarkt verzichten. Ansonsten würde ich wahrscheinlich Orte mit vielen Menschen meiden."
Sollten sich Besucher von der "abstrakten Terrorgefahr" abschrecken lassen, könnte das die Branche empfindlich treffen. Laut Deutschem Schaustellerverband geben Weihnachtsmarktbesucher jedes Jahr etwa 1,8 Milliarden Euro aus. Für viele Budenbetreiber ist das Weihnachtsgeschäft die wichtigste Einnahmequelle im Jahr.
Marie-Therese Adams freut sich über ein wenig Unterhaltung an diesem vergleichsweise ruhigen Nachmittag. Die alte Dame mit der tiefblauen Schürze und dem auffälligen gelben Seidentuch verkauft Christstollen. Der Original Dresdner laufe besonders gut. Einen mit Marzipan hat sie auch noch da. "Den mögen die Rheinländer ganz gerne. Aber da stehen dem Dresdner dann natürlich die Haare zu Berge", sagt sie mit einem Schmunzeln.
Dann wird ihre Stimme ernst. Sie erinnert an den missglückten Anschlag am Bonner Hauptbahnhof vor drei Jahren. Nun, meint Marie-Therese Adams, könnte es sein, dass die Menschen wieder daran denken und nicht auf den Weihnachtsmarkt gehen. Das Weihnachtsgeschäft sei wichtig - allerdings würde der Laden nicht daran zugrunde gehen, wenn weniger Menschen kämen. Auf die Frage, ob sie selber beunruhigt sei, schüttelt sie mit dem Kopf und lächelt. "Bei solchen Dingen bin ich schon etwas fatalistisch. Wie sagen wir im Rheinland: Et kütt wie et kütt und et hätt noch emmer joot jejange." Es kommt, wie es kommt und ist noch immer gutgegangen.