Kaum Vorschusslorbeeren für große Koalition
27. November 2013Die Beteiligten der Koalitionsverhandlungen in Berlin zeigten sich nach dem Verhandlungsmarathon hoch zufrieden. Die beiden Oppositionsparteien im Bundestag sehen die Ergebnisse naturgemäß anders. Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, spricht von einem "Koalitionsvertrag der unterlassenen Hilfeleistung" für Ärmere und Benachteiligte. Er sei "sozialpolitisch substanzlos und gerechtigkeitspolitisch feige", da es nur nur "kleine Verbesserungen mit Schlupflöchern" gebe, so Kipping. Bei zentralen Wahlversprechen hätten die Sozialdemokraten nicht geliefert.
Was für die Linke die soziale Frage ist, das ist für die Grünen die Energiewende - beides sind die gegenwärtigen Kernthemen der Parteien. "Die Energiewende wird abgewürgt", sagt die Grünen-Parteivorsitzende Simone Peter. Sie kritisiert den nun vorgesehenen weniger schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien und die weitere Förderung des Kohle-Stroms.
"Unverbindliche Trippelschritte"
Doch nicht nur beim Klimaschutz meint Peter eine "Zukunftsvergessenheit" der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD auszumachen, sondern auch in den Bereichen Innovationen, Steuern und Subventionsabbau. Und die Verbesserungen in der Flüchtlingspolitik seien "unverbindliche Trippelschritte".
Ähnliche Kritik kommt von der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, die den Koalitionsvertrag als "insgesamt enttäuschend" bezeichnet. Zwar gebe es Verbesserungen wie eine neue Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete. Ansonsten setze die neue Regierung aber auf Abschottung, erklärt Geschäftsführer Günter Burkhardt. Pro Asyl kritisiert unter anderem die Ankündigung der Koalition, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina per Gesetzesänderung zu "sicheren Herkunftsstaaten" zu erklären. Menschen, die aus solchen Ländern einreisen, können sich in Deutschland nicht auf das Grundrecht auf Asyl berufen. Der Organisation zufolge richtet sich die Maßnahme gegen Roma.
Umstrittene Vorratsdatenspeicherung
In der Netzgemeinde stößt die Wiedereinführung der von der Europäischen Union geforderten Vorratsdatenspeicherung von Kommunikationsdaten auf Kritik. "All unsere täglichen Kontakte erfassen zu wollen, ist ein Vorhaben unerhörten Ausmaßes", kritisiert Ute Elisabeth Gabelmann vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Für die Grünen ist es "ein schwerer Fehler, auf dem Höhepunkt der NSA-Affäre die verfassungsrechtlich hochproblematische Speicherung durchzuwinken".
"Einmal gespeicherte Daten wecken Begehrlichkeiten", kritisierte Katharina Nocun, die politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. "Hier helfen auch keine Lippenbekenntnisse, die Zugriffsrechte restriktiv zu gestalten oder Speicherfristen kurz zu halten." Statt in die Totalüberwachung der Bürger zu investieren, sollte die Regierung in soziale Prävention, eine bessere Ausstattung und Ausbildung der Ermittlungsbehörden und die zielgerichtete Ermittlung bei begründetem Verdacht setzen, forderte Nocun.
Wer soll das alles bezahlen?
Die nicht mehr im Bundestag vertretenen Liberalen fokussieren ihre Kritik auf die wirtschaftspolitische Handschrift des Koalitionsvertrags. "Schuldentilgung des Staates und Entlastung der Bürger sind abgeblasen", empört sich der designierte FDP-Vorsitzende Christian Lindner. "Es sei ein Anschlag auf Deutschlands Glaubwürdigkeit in Europa", milliardenschwere Mehrausgaben einzuplanen. In Europa verlange Deutschland solide Finanzen, verhalte sich nun aber selbst genau gegenteilig.
Die deutsche Wirtschaft fürchtet ebenfalls Steuererhöhungen als Folge der Koalitionsvereinbarungen. "Zu wenig Aufbruch, zu viel Rückwärtsgewandtes und zu viele ungedeckte Schecks", klagt Hannes Hesse vom Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbauer. Auch die Familienunternehmer kritisieren die Vereinbarungen. In der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik schlage die große Koalition eine Rolle rückwärts, sagt ihr Präsident Lutz Goebel. Die Parteien hätten ein Zeichen setzen können, indem sie den Abbau des Schuldenbergs in Angriff genommen hätten, sagt die Vorsitzende der Jungen Unternehmer, Lencke Wischhusen. Sehr deutliche Kritik übt BDI-Präsident Ulrich Grillo. Der Koalitionsvertrag sei "eine vertane Chance für Deutschlands Zukunft".
Wirtschaftsweiser Schmidt: Ab 2015 wird es eng
Der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, hält die schwarz-roten Ausgabenpläne längerfristig für nicht ausreichend finanziert. "Bis zum Jahr 2017 lassen sich die vorgesehenen Mehrausgaben vielleicht finanzieren, ohne Steuererhöhung und ohne neue Schulden ab dem Jahr 2015, darüber hinaus jedoch nicht", sagte er der Zeitung "Die Welt".
Überwiegend positiv fällt dagegen das Urteil von Seiten der Gewerkschaften aus. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer sieht viele Verbesserungen für Arbeitnehmer in Deutschland erreicht. Zwar gebe es noch Bereiche wie die Gesundheits- oder Europapolitik, wo er sich bessere Ergebnisse gewünscht hätte. Dennoch sei in den Vereinbarungen auch die Handschrift der Gewerkschaften erkennbar.