Starkes Duo bei der 67. Berlinale
14. Februar 2017Am sechsten Tag hatte der Wettbewerb endlich seinen ersten ganz starken Auftritt. Am Nachmittag schritt der finnische Kult-Regisseur Aki Kaurismäki über den Roten Teppich der Berlinale und präsentierte seinen Film "Die andere Seite der Hoffnung". Kurz darauf durfte Festival-Direktor Dieter Kosslick den deutschen Regisseur Andres Veiel begrüßen, der seinen Dokumentarfilm "Beuys" als Weltpremiere vorstellte.
Kunst & Politik auf der Leinwand
Hatten die professionellen Wettbewerbsbeobachter bisher viel Durchschnittliches gesehen und hatte sich der Jubel über die gezeigten Bären-Konkurrenten in Grenzen gehalten, so atmeten Kritiker und Publikum jetzt auf. Sowohl "Die andere Seite der Hoffnung" als auch "Beuys" sind Filme, die aufhorchen lassen und denen es gelingt, dem Publikum Kunst und Politik auf elegante und kluge Art und Weise nahezubringen.
Der Reihe nach: Der Finne Kaurismäki erzählt in "Die andere Seite der Hoffnung" gleich zwei Geschichten, die er nach der Hälfte des Films zusammenführt. Da ist Khaled, ein syrischer Flüchtling aus dem zerbombten Aleppo, der in Helsinki strandet und bei seiner Suche nach Asyl viele bittere Erfahrungen macht, aber auch so manche gute. Und da ist ein älterer Herr namens Wikström, der sich gerade von seiner Frau getrennt und seinen Betrieb für Oberhemden verkauft hat und jetzt ein Restaurant übernimmt. Irgendwann bekommt Khaled dann einen Job in eben diesem Restaurant.
Kaurismäki gelingt der Spagat zwischen filmischer Erzählung und politischer Haltung
Aki Kaurismäki, der Meister des filmischen Understatements und des lakonischen Witzes, präsentiert hier zwei Protagonisten, die das Berlinale-Publikum im Sturm erobern. Es gelingt ihm meisterhaft und mit leichter Hand, das Thema Flüchtlingskrise zu behandeln, ohne dabei auf Härten zu verzichten oder die Realität auszublenden.
"Die andere Seite der Hoffnung" ist ein Film, der nicht von einer moralischen Botschaft erdrückt wird, der es schafft, kunstvolles Erzählen und eine humanistische Geschichte ohne erhobenen Zeigefinger miteinander zu verzahnen. "Ich würde gern die Einstellung der Finnen ändern", sagte Kaurismäki in Berlin. 20.000 Iraker seien nach Finnland gekommen, viele seiner Landsleute hätten das "als Angriff empfunden, wie einen Krieg". Das habe ihn sehr erschreckt. Er habe sich nun mit einem Film einfach "zu Wort melden" müssen.
Kaurismäki: Merkel die einzige Politikerin, die am Flüchtlingsproblem interessiert ist
Doch Aki Kaurismäki legte mit seinem neuen Opus in Berlin natürlich nicht nur einen Film über seine Heimat Finnland vor. Sein Plädoyer für Menschlichkeit fiel angesichts der Flüchtlingswelle aus: "Wir müssen begreifen: Wir sind alle Menschen. Jetzt sind andere auf der Flucht, morgen können wir Flüchtlinge sein."
Und Kaurismäki geht noch weiter: "Wo zum Teufel ist denn die Menschlichkeit geblieben? Wenn wir nicht menschlich sind, wozu sind wir dann überhaupt da?", fragte der Finne in der deutschen Hauptstadt und stellte der Kanzlerin ein bemerkenswertes Zeugnis aus: "Ich respektiere Frau Merkel. Denn sie ist die einzige Politikerin, die zumindest an dem Problem interessiert scheint."
Akribische filmische Spurensuche: Beuys
Um aktuelle Fingerzeige ging es auch Andres Veiel mit seinem Dokumentarfilm über den Jahrhundertkünstler Joseph Beuys. Aus über 400 Stunden Bild- und 300 Stunden Audiomaterial sowie 20.000 Fotos haben Veiel und sein Team eine knapp zweistündige Dokumentation montiert. Zu 90 Prozent besteht "Beuys" so aus Archivmaterial, das für sich sprechen soll. Lediglich ein paar wenige Interviews mit Beuys-Begleitern von damals ergänzen das historische Filmmaterial.
Sein Ziel sei es nicht gewesen, eine Dokumentation über einen Künstler zu drehen, der in den 1960er- und 1970er-Jahren mit seiner Arbeit heftige Auseinandersetzungen innerhalb der Gesellschaft, aber auch der Kunstwelt provoziert habe, erzählte Andres Veiel in Berlin: "Was ich viel wichtiger und interessanter fand, das ist das Heutige, die politischen Ideen-Räume, die Beuys ausgelotet hat."
Joseph Beuys: Vordenker mit politischen Visionen
Beuys sei damals ja nicht verstanden worden, auch von den Grünen nicht (zu deren Gründervätern er gehörte). Beuys sei jemand gewesen, der "sich Ende der 1970er-Jahre über ökonomische Fragen Gedanken gemacht hat". Beuys habe damals gesagt: "Wenn Geld sich aus sich heraus vermehrt, losgelöst von der Produktion, dann führt das zu Blasen, die nicht mehr kontrollierbar sind, dann kriegen wir eine Krise der Demokratie. Er ist damals ausgelacht worden."
"Beuys" besticht durch diese Fokussierung auf aktuelle politische, aber auch philosophische Fragestellungen. Der Film zeigt einen Menschen, der vor allem eines war: ein Freigeist, dessen Denken keine Grenzen kannte. Das hat damals viele verstört und wohl auch überfordert. Nicht nur den braven Bürger und die Politiker. Auch Künstler und Kritiker. Das macht der Film nachdrücklich deutlich.
Andres Veiel: "Es ging ihm mit dem Satz 'Jeder Mensch ist ein Künstler' ja nicht darum zu sagen: 'Jeder Mensch ist ein Bildhauer', sondern darum mitzugestalten." Beuys habe die Menschen aufgefordert, Politik nicht zu delegieren an "eine Kaste, die dann alle vier Jahre wiedergewählt wir.." Das sei für ihn gerade heute ganz wichtig und aktuell, zeigte sich Veiel in Berlin überzeugt: "Es ist sozusagen eine Wiedervorlage, die gerade jetzt, 2017, zum absolut richtigen Zeitpunkt kommt."
Humor als Kitt für Botschaft und Haltung
Und, da sind sich Aki Kaurismäki und Joseph Beuys (und Andres Veiel) plötzlich ganz nahe. Kaurismäki auf eine eher leise, melancholische und nachdenkliche Art, Beuys auf eine eher revolutionäre, auf jeden Fall anarchistische Art und Weise. Beide, der Künstler bereits vor vier Jahrzehnten, der finnische Regisseur jetzt und heute, plädieren für eine Politik der Menschlichkeit und Würde, aber auch der gesellschaftlichen Umgestaltung und Wertevermittlung.
Was beide außerdem eint, ist der Humor. Vielleicht liegt es auch daran, dass sowohl "Die andere Seite der Hoffnung" als auch "Beuys" so gelungen sind und dem Berlinale-Wettbewerb einen ersten großen Tag bescherten.