Kehren die Muslimbrüder zurück?
3. Juli 2014
Ein Jahr nachdem Mohammed Mursi, Ägyptens erster Präsident aus der Muslimbruderschaft, vom Militär entmachtet wurde, wollen Mitglieder der islamistischen Gruppe Widerstand gegen die Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi üben. "Wenn du zu den Familien, die ihre Brüder, Schwestern, Väter und Freunde verloren haben, sagst, dass wir nun vergessen, was passiert ist, wird die Stimmung in Gewalt umschlagen", sagt ein 20-jähriger Anhänger der Muslimbruderschaft, der aus Angst vor Repressalien anonym bleiben möchte. Er betont: "Eine Versöhnung mit der Regierung ist unmöglich."
Die Gruppe wird seit langem vom autoritären Regime in Ägypten unterdrückt. Aber anders als zuvor, sagen Experten, haben die Mitglieder der Bruderschaft nun eine bewusste Entscheidung getroffen, sich zu wehren."Was wir im letzten Jahr gesehen haben, ist ein konfrontativer Ansatz. Die Strategie bestand im Wesentlichen aus Protest sowie aus dem Versuch, Ägypten unregierbar zu machen und wirtschaftlich zu sabotieren", erklärt Shadi Hamid, wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Thinktank in Washington, D.C und Autor von "Temptations of Power", einem neuen Buch über islamistische Bewegungen. "Aus ihrer Sicht gibt es keinen Grund, weshalb al-Sisi die Wirtschaft ankurbeln sollte. Ganz im Gegenteil: Sie scheinen zu gewinnen, wenn die Wirtschaft weiter leidet."
"Ich glaube, dass das ägyptische Volk mit diesen permanenten Demonstrationen seinen (al-Sisis. - Die Red.) Rücktritt erreichen will", sagt der in London ansässige Mohammed Soudan, Minister für auswärtige Beziehungen der "Freiheit und Gerechtigkeitspartei", dem politischen Flügel der Muslimbruderschaft. "Al-Sisi muss sich vielen Herausforderungen stellen, insbesondere im Bereich Wirtschaft und Sicherheit. Er glaubt, er kann Entscheidungen einfach mit Druck durchsetzen, aber so kann ein Land mit 90 Millionen Menschen nicht regiert werden."
Fehlende Strategie
Viele ältere Führer der Gruppe, wie Soudan, haben es geschafft, sich der Verhaftung zu entziehen und aus Ägypten zu fliehen. In Großbritannien, der Türkei und Katar haben sie Stützpunkte für die Muslimbruderschaft aufgebaut, aber eine echte Alternative zur derzeitigen Regierung können sie nicht bieten. "Ich denke, dass die Muslimbruderschaft im Exil große Probleme mit einer schlüssigen Strategie oder einer Vision hat", sagte Hamid. "Wenn Sie einen Anführer der Bruderschaft fragen, wie er sich die Entmachtung des Militärs wirklich vorstellt, werden Sie keine echte Antwort darauf bekommen."
Hinzu kommt: Es ist eine Lücke zwischen den älteren Anführern der Bruderschaft und den jüngeren Anhängern entstanden."Einige der älteren Anführer haben an Glaubwürdigkeit verloren", sagt der 20-Jährige, der nicht genannt werden möchte. "Ihre Generation hatte nie an Revolution gedacht oder etwa an Freiheit. Sie wollte innerhalb des korrupten Systems überleben."
Daher fand der Revolutionsgedanke vor allem bei den Jugendlichen Resonanz. "Eigentlich ist Revolution nicht die Handschrift der Bruderschaft. Sie verändern die Dinge langsam, setzen auf ein langes Spiel und wollen sich den Staat nicht zum Feind machen", sagt Islamwissenschaftler Hamid.
Das Übel in Person
Auch wenn die Bruderschaft wöchentliche Proteste inszeniert hat und auf die Unterstützung von hunderttausenden Mitgliedern und noch mehr Anhängern zählen kann, sind viele Ägypter von der islamistischen Gruppe enttäuscht. Zum Zeitpunkt von Mursis Absetzung war seine Beliebtheit auf einem absoluten Tiefstand.
"[Die Bruderschaft] ist in den Augen des Volkes und Ägyptens Elite zum personifizierten Übel geworden," erklärt Nahost-Experte, Amro Ali, der DW. Viele Ägypter bejubeln nun den Niedergang der Bruderschaft. "Man kann ihr Ansehen mit dem zu Mubaraks Zeiten vergleichen, als die Leute der Bruderschaft überdrüssig waren. Allerdings hatte man ihnen damals noch ihr Engagement den Armen gegenüber zu Gute gehalten," sagt Ali.
In den Startlöchern
Einige, die sich gegen die Muslimbruderschaft aber auch gegen die Militärherrschaft gestellt hatten, befürchten nun, dass die gewaltsame Niederschlagung der Proteste dazu führt, die Regierungszeit der Bruderschaft zu beschönigen. Der freie Journalist Wael Eskandar glaubt, dass die Gruppe erneut eine gute Chance hat, wieder an die Macht zu kommen. "Mit der anhaltenden Brutalität des gegenwärtigen Regimes werden die Leute das Herrschaftsjahr der Bruderschaft vergessen, wie sie auch die anderthalb Jahre der SCAF Herrschaft vergessen haben", sagt er. "Letztendlich werden sich die Menschen der Bruderschaft wieder zuwenden als der einzigen organisierten Opposition und Alternative zum Militärregime. Wie wir gesehen haben, kann in Ägypten alles vergessen werden. Sowohl Mubarak als auch die Verbrechen der Staatssicherheit."