Euro-Zone ohne Antworten
24. Oktober 2014Viele EU-Staaten sollten sich an der baltischen Republik Estland ein Vorbild nehmen. Estland hat einen sensationell niedrigen Schuldenstand, muss fast keine Zinsen und Tilgungen zahlen. Gleichzeitig hat das auf digitale Wirtschaft ausgerichtete Land eine der höchsten Investitionsquoten in der EU. Ein Wunder? Nein, durch konsequente Spar- und Konsolidierungspolitik und zugegeben sehr harte Jahre für die Bevölkerung nach der Finanzkrise haben es die Esten geschafft. Natürlich hat Estland als ehemalige Sowjetrepublik und junges EU-Mitglied ganz andere Voraussetzungen als etwa die überschuldeten Länder Frankreich und Italien, die in der Wirtschaftsflaute verharren, aber vielleicht gibt es ja Rezepte, die man in Paris oder Rom in Tallinn abschauen könnte. Zu so einer Orientierung auf gute Vorbilder sollte der Gipfel der 19 Euro-Staaten in Brüssel eigentlich dienen. Es wurde leider ein Hauen und Stechen daraus.
Die beiden großen Lager in der EU droschen aufeinander ein. Die südlichen Krisenländer forderten mehr staatliche Investitionen und mehr Nachsicht beim Abbau von Neuverschuldung und strukturellen Defiziten. Die nördlichen Staaten um Deutschland pochen auf gewissenhafte Einhaltung der Stabilitätsregeln, beharren auf ausgeglichenen Haushalten und zögern mit staatlichen Konjunkturanreizen und Investitionen. Vertrauen bei potenziellen Investoren in die Verlässlichkeit und Weisheit der Wirtschaftspolitik schafft man so leider nicht.
Etwas unglücklich zwischen den Fronten bewegt sich der Präsident der Europäischen Zentralbank, der fast schon verzweifelt versucht, mit billigem Geld, hart am Rande des Mandats der EZB, Zeit zu kaufen. Mario Draghi sieht aber, dass trotz niedrigster Zinsen und angekündigtem Aufkauf von Ramschpapieren Banken zu wenige Kredite vergeben und die Unternehmen gerade in den Krisenländern mit skandalös hoher Arbeitslosigkeit auf dem Trockenen sitzen. Draghi mahnte die Staats- und Regierungschefs, sich endlich auf eine einheitliche Wirtschaftspolitik zu einigen, Reformen durchzuziehen und die Finanzmärkte zu beruhigen. Nach der Finanz- und Schuldenkrise steckt die Euro-Zone jetzt in einer Konjunkturkrise, die die Gefahr birgt, dass sie in einer jahrenlangen Stagnation möglicherweise gepaart mit Preisverfall verharrt.
Keine konkreten Schritte
Der Präsident der Zentralbank räumte ein, dass seine Geldpolitik bald alle Asse ausgespielt hat, jetzt seien die Politiker am Zuge zu handeln. Draghi forderte mehr Investitionen bei gleichzeitiger Haushaltskonsolidierung. Siehe Estland. Zu konkreten Schritten konnten sich die Staats- und Regierungchefs in Brüssel aber nicht durchringen. Bundeskanzlerin Merkel bleibt bei ihrem Credo: Keine neuen Schulden. Matteo Renzi besteht auf Investitionen und höheren Ausgaben, die am besten von der EU oder aus gemeinsamen Töpfen, wie dem Rettungsfonds ESM, finanziert werden sollten. In ihrer Not beauftragten die Staats- und Regierungschefs den neuen EU-Kommissionspräsidenten Juncker damit, ein Investitionspaket mit einem Umfang von 300 Milliarden Euro vorzulegen. Das hatte Juncker sowieso schon angekündigt. Wie diese Summe finanziert werden soll und wofür sie ausgegeben werden soll, ist auch nach diesem Gipfel völlig nebulös.
Keine überzeugende Leistung des Gipfels, die auch noch vom flegelhaften Verhalten zweier Premiers überschattet wurde. Der italienische Ministerpräsident Renzi polterte, es sei ihm egal, was die EU-Kommission von seinem Haushalt halte. Er werde ihn trotzdem umsetzen. Der britische Regierungschefs Cameron schimpfte mit rotem Kopf, er werde fällige Beitragsrechnungen der EU nicht bezahlen. Rechtlich völlig absurd, aber zuhause kann er bei den europa-skeptischen Briten vielleicht noch Punkte mit seinen rechthaberischen Auftritten machen. Renzi und Cameron profilierten sich auf Kosten der EU. Kanzlerin Merkel konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Die echten Probleme wurden vertagt. So wird das leider nichts mit der Glaubwürdigkeit der Wirtschaftpolitik in der Euro-Zone.
Immerhin wollen die EU-Staats-und Regierungschefs die Mittel zur Bekämpfung der Ebola-Seuche um 400 Millionen Euro auf eine runde Milliarde aufstocken. Wo das Geld herkommt, wurde nicht näher bezeichnet. Wenigstens hier zeigte die Bundeskanzlerin Entschlossenheit: Ebola habe jetzt die höchste Prioriät, Deutschland sei bereit, mehr zu zahlen, wenn das nötig sei. Eine späte Einsicht, aber wenigstens eine klare Aussage.