Keine Gnade für Problembären in der Slowakei
22. Mai 2024Der Bauernhof Zelena Ruza im westslowakischen Vorgebirgsdorf Klacno verfügt über ein schön renoviertes Gästehaus mit allen Annehmlichkeiten für Besucher. Sogar einen kleinen Zoo haben die Betreiber für ihre Gäste eingerichtet: Schafe, Ziegen, vietnamesische Schweine und auch einen Vogel Strauß gibt es dort zu bestaunen. Oder besser gesagt: Gab es dort, denn die meisten der Tiere hat der Zoo im vergangenen Jahr verloren. Eine einsame Bärin hatte sich nach Klacno verirrt und die Zootiere gerissen. Auch für den Strauß endete sein vermutlich erster Kampf mit einer Braunbärin tödlich. "Wir haben Aufnahmen der Überwachungskamera, die zeigen, wie unser Strauß erlegt wird. Es war sehr brutal, das wollen Sie nicht sehen", berichtet Ludmila, die junge Frau, die an der Rezeption die Gäste empfängt. Die aggressive Bärin musste erschossen werden.
Bären lieben Äpfel
Am Ende des Sommers 2023 tauchte eine ganze Bärenfamilie im Dorf auf, eine Mutter mit ihren beiden Jungen. Die Tiere hatten es auf die Gärten mit den dort reifenden Äpfeln und Birnen abgesehen. Zu der Familie gesellte sich ein weiterer einsamer Bär. Aber diesmal waren drastische Maßnahmen in Form eines Abschusses nicht notwendig, die Bären genossen meist nur die heruntergefallenen Äpfel und zogen sich danach wieder in den Wald zurück.
Viele Einheimische begegneten ihnen jedoch in dem mehrere Kilometer langen Dorf: im Tal am Gebirgsbach, auf dem Weg zum Einkaufen, zur Schule oder zu Freunden. "An einem Nachmittag im Herbst war ich auf dem Heimweg vom Fußball, und die Bären waren auf dem Platz", sagt ein Junge von etwa 10 Jahren und fügt hinzu: "Ich habe keine Angst, ich habe ein Pfefferspray in meiner Schultasche."
Auch der Lebensmittelhändler im Ort gibt sich gelassen. "Wir hatten im Herbst jede Menge Äpfel. Daher haben wir erwartet, dass sie auch zu uns kommen", erzählt er. Doch dazu sei es nicht gekommen. Trotzdem wünscht er sich entschiedenere Maßnahmen gegen die Braunbären. "Sie werden ein bisschen zu viele und sie erlauben sich immer mehr. Heutzutage gehen hier nur noch die mutigsten Leute in den Wald, um Pilze zu sammeln."
Zäune und Bärenpatrouillen
Zur Beruhigung der Lage hat das slowakische Umweltministerium in Klacno spezielle Bärenstreifen eingerichtet, die in der Gegend patrouillieren. "Wir haben die Aufgabe, die Bären zu verscheuchen und sie aus bewohnten Gebieten fernzuhalten", erklärt einer der Mitarbeiter. "Wir beraten auch die Einheimischen zu Sicherheitsmaßnahmen, damit die Bären so wenig Schaden wie möglich anrichten." Einige der Dorfbewohner würden jedoch radikalere Maßnahmen bevorzugen. "Man müsste mehr Abschüsse erlauben, damit die Bären wieder Angst bekommen", sagt Joseph, ein Mann in den Fünfzigern, in einer örtlichen Pizzeria.
Jetzt im Frühling ist die Situation viel ruhiger als im Herbst, als viele Dorfbewohner von ihren Fenstern aus die Bären beobachten konnten, die sich in den Gärten über das Obst hermachten. "In diesem Frühjahr hatten wir hier noch keine Bären. Wir wissen, dass es sie in den umliegenden Wäldern gibt, aber hier im Dorf sind sie noch nicht aufgetaucht", erzählt die Rezeptionistin Ludmila. Um die neu erworbenen Tiere für die Gäste zu schützen, werde der Bauernhof Elektrozäune errichten, erklärt sie.
Bär in den Straßen der Stadt
Klacno ist eines der "Bärendörfer" der Slowakei. Dabei liegt es nicht etwa hoch in den Bergen, sondern am Rande der Tiefebene auf einer Höhe von weniger als vierhundert Metern über dem Meeresspiegel, nur fünfzehn Kilometer von der Stadt Prievidza entfernt.
Der natürliche Lebensraum der slowakischen Braunbären sind die Waldgebiete der Hohen Tatra. Die Tiere stehen unter Naturschutz und dürfen nur in Ausnahmefällen abgeschossen werden. Doch in den vergangenen Jahren drangen sie immer weiter in bewohnte Gebiete vor, ähnlich wie in Rumänien, wo die größte Bärenpopulation Europas heimisch ist. Dort tauchen die Tiere häufig in bewohnten Gegenden auf und verbreiten Angst und Schrecken. Auch in der Slowakei kommt es immer wieder zu Angriffen auf Menschen. Mitte März 2024 lief ein junger Bär mitten durch die Straßen von Liptovsky Mikulas, einer Stadt mit dreißigtausend Einwohnern am Fuße der Tatra. Dabei griff er fünf Menschen an, die jedoch nur leichte Verletzungen erlitten. Nach zwei Wochen der Suche sollen die Jäger den Bären aufgespürt und erschossen haben.
Im Frühjahr kam es zu mehreren weiteren Bärenangriffen, meist in der freien Natur und in bergigen Gebieten, manchmal aber auch direkt auf markierten Wanderwegen. Eine einunddreißigjährige Wanderin bezahlte die Begegnung mit einem Bären in der Niederen Tatra mit ihrem Leben. Auf der Flucht vor dem Tier stürzte sie von einem Felsen.
Bären als Politikthema
Die Lage wurde so kritisch, dass die Angriffe von Bären bis zum Attentat auf Premierminister Robert Fico eines der Hauptthemen in den slowakischen Medien waren. Im letzten Jahr spielte das Thema sogar im Wahlkampf eine Rolle. Ende April 2024 begann das Parlament über eine Gesetzesnovelle des Umweltministeriums zu debattieren, die den Abschuss von Bären mit "problematischem Verhalten" in der Slowakei erleichtern soll. "Der Änderungsantrag gibt keine generelle Abschusserlaubnis für Bären. Der Bär bleibt streng geschützt", sagt Tomas Taraba, Umweltminister der nationalistischen Slowakischen Nationalpartei (SNS).
"Der Bär ist zu einer Last für die gesamte Gesellschaft geworden", erklärt sein Parteifreund, der Abgeordnete Rudolf Huliak, der gleichzeitig Bürgermeister der Stadt Zvolen ist. Mitte Mai schoss er persönlich einen Bären ab, der die örtlichen Gärten durchstreift hatte, in Absprache mit dem staatlichen Naturschutzdienst. "Wir erfüllen unsere Wahlversprechen", verkündete er stolz im sozialen Netzwerk Telegram.
Oppositionspolitiker in der Slowakei äußern jedoch Zweifel an dieser Politik der Regierung und fordern statt einer erhöhten Abschussquote eine systemische Lösung des Problems. Denn Wissenschaftlern zufolge ist die Bärenpopulation in der Slowakei mit rund 1300 Exemplaren gar nicht zu groß. Aber die slowakischen Dörfer und Städte täten zu wenig, um sich gegen die Bäreninvasion zu schützen. So lockten beispielsweise leicht zugängliche Mülltonnen hungrige Bären an, die dort nach Nahrung suchen.