Keine Mitsprache für indigene Anwohner
8. August 2012"In den kommenden 50 Jahren werden im Amazonasgebiet mehr als 300 Wasserkraftwerke stehen", sagt Saulo Feitosa vom Indio-Missionsrat der katholischen Kirche (CIMI) voraus. Eben wegen dieser Entwicklung sei es so wichtig, dass die indigenen Anwohner ordnungsgemäß informiert und miteinbezogen würden. "Für die Regierung ist es aber leider normal, nicht nach deren Meinung zu fragen", klagt Feitosa.
Ein besonders prominentes Beispiel für die Missachtung der indigenen Belange ist der Belo-Monte-Staudamm im Bundesstaat Pará. Die Stammesangehörigen fordern seit Beginn der Bauarbeiten den Stopp des Dammprojektes, da das Baukonsortium zahlreiche soziale wie ökologische Auflagen missachtet. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen: Ende Juni 2012 hatten die Ureinwohner einen Teil der Baustelle besetzt und erst nach drei Wochen geräumt. Ende Juli nahmen sie mehrere Arbeiter des Belo-Monte-Staudamms als Geiseln.
500 Quadratkilometer Urwald sollen überflutet werden
Durch die Stauung des Xingu-Flusses soll eine Fläche von etwa 500 Quadratkilometern Urwald überflutet werden. Der Fluss würde unschiffbar, Fischfang wäre nicht mehr möglich. Stammesangehörige der Juruna und der Arara fordern Aufklärung über Einzelheiten sowie die Erfüllung von ökologischen Auflagen des Großprojektes, berichten brasilianische Tageszeitungen. Das ist laut Verfassung auch ihr Recht. Schutzorganisationen der indigenen Völkergruppen und Vertreter der Bundesstaatsanwaltschaft beschuldigen die brasilianische Regierung, den Artikel 231 der Verfassung zu ignorieren. Er fordert die Mitsprache der betroffenen Gruppen - und zwar vor Beginn beabsichtigter Bauarbeiten. Kritiker beklagen, dass in den anberaumten Treffen zwischen Indianerstämmen und Politikern lediglich die nächsten Bauabschnitte angekündigt werden, ohne aber nach der Meinung der Anwohner zu fragen.
333 indigene Schutzgebiete betroffen
Belo Monte ist kein Einzelfall. Der DW liegen Zahlen einer erst im September erscheinenden Studie des Indio-Missionsrats der katholischen Kirche (CIMI) vor. Demnach beeinträchtigen 454 geplante, im Bau befindliche oder bereits durchgeführte Unternehmungen insgesamt 333 indigene Schutzgebiete. Damit kann eine Umsiedelung gemeint sein oder auch der Verlust der Lebensgrundlage, beispielsweise des Fischens. In seiner Studie benennt der CIMI 158 betroffene Indianervölker, von denen keines vor Beginn der Bauarbeiten von der Regierung richtig informiert worden ist. Nach Aussage der Studie ziele mehr als die Hälfte aller Projekte auf den Energiegewinn ab, wie beispielsweise Wasserkraftwerke. Ein Regionaltribunal forderte jetzt den sofortigen Stopp des Wasserkraftwerks Teles Pires, an den Grenzen der Bundesstaaten Pará und Mato Grosso. Entgegen eindringlicher Warnungen - auch seitens der Umweltschützer - verteidigt Staatpräsidentin Dilma Rousseff den Ausbau von Wasserkraftwerken in Brasilien. Die Regierung sehe sie als zentrale Quelle zur Energiegewinnung im wirtschaftlich wachsenden Brasilien an.
Die brasilianische Regierung hat zu Jahresbeginn eine Arbeitsgruppe gegründet, um die Mitsprache der indigenen Gruppen zu garantieren. Theoretisch haben sie nämlich sogar ein Veto-Recht gegen Maßnahmen, die die ihnen zugewiesenen Gebiete betreffen. Sílvio Albuquerque, einer der Repräsentanten der Regierung in der Arbeitsgruppe, behauptet, dass es sehr wohl Treffen mit den indigenen Gruppen gegeben habe. Eindeutige Regelungen seien jedoch nicht getroffen worden, so Albuquerque.