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Krise im Wahlkampf

Bernd Riegert23. Februar 2013

Gegen die Wirtschaftskrise haben die Parteien in Italien keine durchschlagenden Konzepte. Das lässt Wähler resignieren, was sich auch in der Beteiligung an den Parlamentswahlen niederschlägt.

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Wahlplakate (Foto: DW/Bernd Riegert)
Bild: DW/Bernd Riegert

In diesen Tagen hängen über Rom schwere dunkle Wolken, aus denen es ab und zu einen Schauer gibt. Der Wind ist frisch. Für Römer ungemütliches Winterwetter. Das Wetter passt in weiten Teilen zur Stimmung des Wahlvolks, das am Sonntag und Montag (24./25.02.2013) aufgerufen ist, bei den Parlamentswahlen seine Stimme abzugeben. "Die meisten Leute sind es einfach Leid, weil sie von der Politik enttäuscht sind", sagt Laura Bernaschi, eine Fernsehproduzentin, die mit dem Zahnarzt Marco Solazzo zusammenlebt. Das Paar hat zwei kleine Kinder, wohnt im zweiten Stock eines Altbaus mit hohen Decken und Parkett, ganz in der Nähe des Vatikans. In der modern eingerichteten Wohnküche sitzen wir am roten Glastisch.

Die Wirtschaftskrise hat Italien fest im Griff. Die Rezession in Italien wird nach der neuesten Vorhersage der EU-Kommission erst 2014 langsam überwunden. Die Arbeitslosigkeit wird sogar noch weiter steigen auf über zwölf Prozent. "Die Krise ist sicher nur der Gipfel eines Problems, das wir mit unseren Politikern schon seit über 60 Jahren haben", glaubt der 45-jährige Zahnarzt, der einen Ohrring und ein Augenbrauen-Piercing trägt. Von Reformen sei immer nur viel geredet worden, geschehen sei wenig, außer dass die Steuern erhöht wurden. "Die Krise wirkt jetzt wie ein Weckruf für viele Leute, die immer nur an heute oder morgen gedacht haben. Jetzt begreifen sie, dass sie auch an übermorgen und an die Zukunft denken müssen", sagt Marco Solazzo. Auch ihn und seine Familie hat die Wirtschaftskrise getroffen: "Ich fühle diese Krise. Seit 2008 habe ich die Hälfte meines Einkommens eingebüßt. Denn diese Krise trifft ein Land, das nicht bereit ist, sich mit der Krise wirklich auseinanderzusetzen. Es wird in den nächsten Jahren noch härter werden. 2013 ist noch nicht das Jahr der Kehrtwende, glaube ich."

Laura Bernaschi (Foto: DW/Bernd Riegert)
Laura BernaschiBild: DW/Bernd Riegert

Parteien haben keine schlüssigen Konzepte

Die Analyse vom Küchentisch kann der Politikwissenschaftler Lutz Klinkhammer nur bestätigen. Klinkhammer ist Italien-Experte, lebt seit 13 Jahren hier und forscht am Deutschen Historischen Institut, das am Rande eines ausgedehnten Parks im Südwesten Roms liegt, an der alten Römerstraße Via Aurelia. Die Versprechen im Wahlkampf, dass die Sparpolitik des Staates gelockert werden soll, hören die gebeutelten Wähler gern, so Lutz Klinkhammer. "Da können sich viele Italiener wiederum mit identifizieren, denn man sieht das Beispiel Griechenlands vor Augen. Man glaubt, wenn das so weitergeht, dann endet Italien dort, wo Griechenland jetzt ist." Nicht nur der frühere Ministerpräsident Silvio Berlusconi, sondern auch der Shooting-Star des Wahlkampfs, der Ex-Komiker Beppo Grillo, und einige linke Politiker wollen Steuern zurückzahlen und die Sparschrauben lockern.

Auch in einem weiteren Punkt stimmen das italienische Paar Marco und Laura mit dem deutschen Wissenschaftler überein: Ein überzeugendes Konzept haben weder die Mitte-Links-Parteien noch die Mitte-Rechts-Parteien. "Es ist sicher so, dass die meisten Parteien, die im Wahlkampf konkurrieren, kein schlüssiges Konzept vorgelegt haben, wie sie in der Wirtschaftspolitik weitermachen wollen", so Lutz Klinkhammer. Nur der zurückgetretene Regierungschef Mario Monti habe signalisiert, in ähnlicher Weise weiterzumachen. "Alle Parteien wollen eigentlich die Beschäftigung ankurbeln, aber keiner hat ein schlüssiges Programm für Sparmaßnahmen. Denn da ist der eigentliche Punkt, wo man aktiv eingreifen kann. Die Erhöhung der Steuerschraube ist sicher kein Patent-Rezept", analysiert Lutz Klinkhammer.

Marco Solazzo (Foto: DW/Bernd Riegert)
Marco SolazzoBild: DW/Bernd Riegert

Schuldenkrise wird verdrängt

Marco Solazzo, der als selbstständiger Zahnarzt arbeitet, ist von den etablierten Parteien enttäuscht, denn zu schwaches Wirtschaftswachstum belastet Italien schon seit über zehn Jahren, die hauptsächlich von Silvio Berlusconi bestimmt wurden. Was erwartet Marco Solazzo von der neuen Regierung, die am Sonntag und Montag bei den Parlamentswahlen bestimmt wird? "Das ist, glaube ich, einfacher, als es zunächst scheint: Wie wäre es mit Ehrlichkeit? Viele Politiker bereichern sich im politischen Geschäft, deshalb brauchen wir jetzt ernsthafte Leute, ob von links oder rechts, das ist jetzt nicht sehr wichtig."

Und was ist mit der überbordenden Staatsverschuldung? Italien steuert auf 130 Prozent Staatschuld gemessen an der jährlichen Wirtschaftsleistung zu. Oder mit den Zinssätzen für lang laufende italienische Staatsanleihen? Ein Kurs über sechs Prozent hat vor nicht einmal 14 Monaten eine schwere Krise in der Euro-Zone ausgelöst. Heute liegt der so genannte "Spread" bei rund vier Prozent. "Il Spread", ein neues italienisches Wort, hat seinen Schrecken verloren, glaubt Lutz Klinkhammer. Der konservative Berlusconi, der auch wegen steigender Zinsen im November 2011 zurücktreten musste, hält den Spread und die zu hohen Zinslasten inzwischen für eine Erfindung der Deutschen. "Die Italiener sind in der Zwischenzeit desillusioniert, glauben eher an Manipulation von Kursen und Machenschaften von Banken und ähnliches mehr. Mit dem Argument des Spread wird man Berlusconi nicht verhindern können ein weiteres Mal", sagt Politologe Klinkhammer.

Lutz Klinkhammer (Foto: DW/Bernd Riegert)
Lutz KlinkhammerBild: DW/Bernd Riegert

"Europa ist uns egal"

Am roten Küchentisch winken Marco und Laura bei Fragen nach den Zinsen, die die gesamte Euro-Zone in Unruhe versetzen, ab. Europa ist überhaupt weit weg. "Wir müssen in der Krise zunächst etwas für Italien tun", glaubt die Fernseh-Produzentin Laura Bernaschi. "Wir wissen, was die Menschen in Europa immer über Italien sagen. Es ist immer dasselbe: Wir sind unberechenbar, wir sind nicht ernsthaft genug", fügt Lauras Lebensgefährte Marco fast trotzig hin zu. "Aber das Leben in Italien ist anders. Hier gibt es Menschen, die hart arbeiten und jetzt anfangen, Fragen zu stellen. Also, es ist ziemlich egal, was die in Europa über uns denken."

Noch sind ihre eigenen Kinder nicht einmal im Schulalter, aber Laura Bernaschi macht sich vor allem über die hohe Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen Gedanken. Sie liegt bei 37 Prozent. "Es gibt eine Menge junge Leute, die einen Abschluss haben, aber keine Arbeit finden. Sie sind doch die Zukunft des Landes. Das ist die erste Sache, die man anpacken müsste." Weil viele ihrer Freunde und Bekannten auch enttäuscht sind von der etablierten Politik, rechnen Marco und Laura offenbar mit einem guten Abschneiden des Fundamental-Oppositionellen Beppe Grillo. Der ehemalige Schauspieler ist eigentlich gegen alles, will soziale Wohltaten für alle und den reichen Politikern die Gehälter kürzen.

"Italien muss für Investoren interessanter werden"

Die Beobachtungen am roten Küchentisch in Rom bestätigt der Fachmann Norbert Pudzich mit seinen nüchternen Analysen. Pudzich ist Geschäftsführer der deutsch-italienischen Handelskammer in Mailand, also ein Mann der Praxis. Für ihn verfügt Italien über eine starke industrielle Basis, die durchaus erfolgreiche Exportprodukte schafft. Maschinen und Anlagen, Fahrzeuge, Kunststoff- und Chemieprodukte. Erst mit weitem Abstand folgen Mode und Mozzarella. Die Probleme der Wirtschaft liegen an falschen Rahmenbedingungen und verkrusteten Strukturen, so Pudzich. "Ich denke, Italien hat seine Attraktivität als Investitionsstandort für Unternehmen weitgehend verloren. Da müsste die Regierung ansetzen, die Standortfaktoren deutlich verbessern, die Steuerreform, die längst überfällig ist, vorrangig in Angriff nehmen. Damit schafft sie Anreize, dass italienische Unternehmen wieder in ihre eigenen Unternehmen investieren und Unternehmen aus dem Ausland auch wieder Freude daran haben, in Italien zu investieren."

Norbert Pudzich geht es im Übrigen wie den Römern am Küchentisch und im Forschungsinstitut. Wie die Parteien diese Probleme endlich lösen wollen, hat er in den Wahlprogrammen nicht erkennen können. "Darauf sind wir jetzt alles gespannt", so Norbert Pudzich. Die Ratingagentur Standard and Poor's hat schon einmal vorsorglich gewarnt, eine instabile Regierung könnte die Zinskosten für Italien schnell wieder hochtreiben und die Euro-Schuldenkrise wieder beleben. Die dunklen Wolken werden im übertragenden Sinne wohl auch nach der Wahl bleiben.