Kerosin aus Sonne
28. August 2019Manuel Romero strahlt über das ganze Gesicht. Dass er mit seinen 60 Jahren noch an einem bahnbrechenden Erfolg mitgewirkt hat, macht den Chemie-Ingenieur stolz. "Aber ich bin ja erst seit drei Jahren der Leiter dieser Anlage", sagt er bescheiden.
Die Anlage, die er mit Kollegen aus Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und Slowenien auf den Weg gebracht hat, steht in Móstoles in der Nähe von Madrid. Es ist der erste Reaktor, der mit Sonnenkraft Kerosin erzeugt.
Kerosin ist der Kraftstoff, den Flugzeuge tanken, und er ist besonders umweltschädlich. Es gibt deshalb bereits zahlreiche Forschungsprojekte mit dem Ziel, Kerosin synthetisch herzustellen, also ohne Erdöl. Die Besonderheit im Industriegebiet von Móstoles: zwischen Shopping-Center und Autohändler wird hier auf noch kleiner Fläche erstmals Kerosin mit Sonnenenergie hergestellt.
Weltweit einzigartig
Für die Branche ist das ein Durchbruch, weil "Sun-to-liquid", wie das Projekt heißt, eine CO2-neutrale Lösung darstellt, die wesentlich weniger Ressourcen und Flächen verbraucht als zum Beispiel Bio-Kerosin.
Bei der Verbrennung im Flugbetrieb verursachen synthetisch hergestellte Kerosin-Varianten nicht unbedingt viel weniger Schadstoffe als herkömmliches, erdölbasiertes Kerosin. Den Unterschied macht die Herstellung aus. Für Bio-Kerosin "müssen Wälder abgeholzt werden, um die Rohstoffe anzubauen", sagt Romero. "Zudem werden durch die massive Nachfrage nach bestimmten Pflanzen die Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben."
Für Sun-to-liquid Kerosin braucht man dagegen nur Sonnenlicht, Wasser und Kohlendioxid (CO2). Wird das benötigte CO2 vorher aus der Luft abgesaugt, können die später bei der Verbrennung erzeugten Schadstoffe ausgeglichen werden. Der Kraftstoff wäre dann klimaneutral.
Nach heutigem Kenntnisstand können Flugzeuge und Schiffe wegen ihres Gewichts noch nicht elektrisch angetrieben werden. Die dazu nötigen Batterien wären viel zu groß und schwer. An Brennstoffen wie Kerosin führt deshalb vorerst kein Weg vorbei. Kein Wunder also, dass klimaneutrales Kerosin derzeit viel Aufmerksamkeit erregt. Selbst aus Japan und Kroatien reisen Wissenschaftler nach Móstoles, um sich die Sun-to-liquid-Anlage anzuschauen.
Mehr als 160 Spiegel fokussieren das Sonnenlicht auf den Reaktor, der in einem 20 Meter hohen Turm untergebracht ist. So wird die Reaktorkammer auf rund 1500 Grad erhitzt - ein bisher unerreichter Spitzenwert. Mit Hilfe eines Katalysators wird dann aus Wasser und aus der Luft abgesaugtem Kohlendioxid ein synthetisches Gas erzeugt.
Branche vor großem Umbruch
Experten der Zivilluftfahrtorganisation ICAO gehen davon aus, dass der Kerosin-Bedarf bis 2050 um das sechsfache auf rund 860 Millionen Tonnen im Jahr steigen wird. Gleichzeitig nimmt der politische Druck auf unser Konsumverhalten immer weiter zu.
Auch dort, wo Romeros Forschungsinstitut IMDAE mit seinem Reaktor steht, werden die Folgen des Klimawandels deutlich. Überall in Madrid fällt der ausgedörrte und verbrannte Boden ins Auge, auf dem auch die gut 160 Heliostaten stehen, jene Spiegelapparate, die das Sonnenlicht - unabhängig von der Positioin der Sonne - auf den immer gleichen Punkt konzentrieren.
"So trocken wie dieses Jahr habe ich es noch nie erlebt", sagt Romero, der noch bis Ende des Jahres mit einem jungen Ingenieur der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich an diesem Projekt arbeiten wird. Der 28-jährige Stefan Zoller schreibt seine Doktorarbeit über das Sun-to-liquid-Verfahren. Die ETH Zürich hat den Katalysator im Solar-Reaktor entwickelt, mit dessen Hilfe das synthetische Gas erzeugt wird. Das Gas wird dann mit einer nach den deutschen Erfindern Franz Fischer und Hans Tropsch benannten Methode verflüssigt, daher kommt auch der Begriff "Sun-to-liquid".
Airlines forschen auf eigene Faust
Lufthansa ist eine der Fluglinien, die bereits an synthetischen Alternativen forschen. Mit der norddeutschen Raffinerie Heide stellen sie in einem Forschungsprojekt mit Windstrom Kerosin her. Das ist - ebenso wie Sun-to-liquid - in der Herstellung zwar nachhaltiger als Bio-Brennstoff, aber im Vergleich zum herkömmlichen Kerosin noch nicht wettbewerbsfähig.
Der Projektleiter von Sun-to-liquid auf deutscher Seite, Christoph Falter von der Bauhaus Luftfahrt e.V., rechnet mit Produktionskosten von etwa zwei Euro pro Liter Kerosin. Das ist viermal soviel wie der Verkaufspreis von traditionellem Kerosin auf Erdöl-Basis, das für 0,5 Euro pro Liter angeboten wird. "Das liegt auch daran, dass bei diesem Treibstoff, anders als beim Benzin für Autos, keine Steuern erhoben werden", sagt Falter.
Das Team von Sun-to-liquid hofft darauf, dass die Politik den Preisunterschied bald ausgleichen wird - etwa durch eine Steuer, durch Zertifikathandel oder durch Quoten für alternative Kraftstoffe. "Wenn man berücksichtigt, dass die externen Kosten der Umweltschädigung bei konventionellen Kraftstoffen nicht berücksichtigt werden, gibt es eine gute Begründung für die Einführung solcher Maßnahmen", glaubt Falter.
Romero hofft zudem, dass die derzeit noch teure Technik, Kohlendioxid aus der Luft zu saugen, in den nächsten Jahren billiger wird. Damit würde auch der Literpreis von synthetischem Kerosin sinken. Sicher scheint zumindest, dass Romero die Arbeit so bald nicht ausgehen wird. Schon an der weltweit ersten Solarthermie-Anlage in Sevilla hat er damals mitgearbeitet. Und Solaranlagen boomen in Spanien wie nie zuvor.
Spaniens Solarboom
Nach Angaben des spanischen Branchenverbands UNEF wurden im vergangenen Jahr 261,7 MW neuer Photovoltaikstrom installiert. Das entspricht einer Steigerung von 94 Prozent gegenüber 2017. Deutsche und Spanier arbeiten schon seit Jahrzehnten zusammen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das auch am Projekt Sun-to-liquid beteiligt ist, unterhält eine Solar-Forschungsstation bei Almeria.
"Spanien ist ein attraktiver Standort in Europa, da es ein sonnenreicher Ort in einem stabilen Umfeld mit verhältnismäßig günstigen Bedingungen für eine Anlagenfinanzierung ist", bestätigt Falter von Sun-to-liquid. Auch das deutsche Technologieunternehmen Kaiserwetter setzt auf die Iberische Halbinsel, hier verkauft es vor allem Monitoring-Systeme. Hanno Schoklitsch, CEO und Gründer von Kaiserwetter, hält Sun-to-liquid ebenfalls für einen Meilenstein: "Es ist ein Schlüssel für eine nachhaltigere Mobilität, auch auf dem Meer."
Manuel Romero, den Chef der Sun-to-liquid-Anlage, freut das: "Für mich ist es der krönende Abschluss meiner Karriere als Wissenschaftler und schon allein deswegen bin ich pro-europäisch. Denn ohne die sieben Millionen Euro EU-Fördergelder und die Zusammenarbeit von so vielen Experten wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen."