Kevin Kühnert: Linker Rebell und Strippenzieher
11. Dezember 2021Die Unterschriften unter dem Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP sind gerade erst getrocknet, die neue Bundesregierung frisch im Amt, da meldet sich bereits einer zu Wort, der die Abmachungen "nachschärfen" will. Kevin Kühnert macht keinen Hehl daraus, dass er nicht zufrieden mit dem ist, was beispielsweise beim Mietrecht und bei der Aufstockung der Grundsicherung für Arbeitslose vereinbart wurde.
Viele linke Forderungen scheiterten in den Verhandlungen an der FDP, die im politischen Spektrum eher rechts von der Mitte zu verordnen ist. Doch es seien "Prüfaufträge" vereinbart worden, betont Kühnert und das sei nichts anderes als die Ansage, dass die Parteien hier "nochmal miteinander in die Diskussion gehen müssen". Die SPD müsse ihre Positionen klar benennen, sagte der 32-Jährige und fügte hinzu, die Sozialdemokraten werde "es auch noch geben, wenn es diese aktuelle Regierung irgendwann nicht mehr geben wird". Deshalb müsse die Partei "einen eigenen Standpunkt" haben.
Lautstarker Gegner der Großen Koalition
Kevin Kühnert hat noch viel vor mit und in der SPD. Daran hat er nie einen Zweifel gelassen. Als 16-Jähriger trat der gebürtige Berliner 2005 in die SPD ein. Ab 2012 machte er Karriere bei den Jusos (Jungsozialisten), wie die Jugendorganisation der Sozialdemokraten genannt wird. Erst als Vorsitzender der Berliner Jusos, dann auf Bundesebene, wo er 2017 den Vorsitz übernahm.
Seit 2019 sitzt Kühnert im SPD-Vorstand, 2021 kandidierte er erfolgreich für den Bundestag und gab dafür den Juso-Vorsitz ab. Ein nach dem Abitur begonnenes Studium hat Kühnert schnell abgebrochen, ein zweites begonnen, aber nie zu Ende geführt. Er ist verheiratet und lebt mit seinem Mann in Berlin.
Richtig bekannt wurde Kevin Kühnert 2018 mit seiner #NoGroKo-Kampagne, für die er wochenlang durch die Republik tourte und Stimmung gegen eine erneute Regierungskoalition von CDU, CSU und SPD machte.
Zwar scheiterte er damit, aber nur knapp. Kühnert steht politisch klar links, trat früher für die Enteignung von Großkonzernen wie BMW ein und bezeichnet sich selbst als Sozialist. Eine politische Verortung, die er auch für die SPD seit Jahren vorantreibt.
Ohne Kühnert wäre Olaf Scholz vielleicht SPD-Chef
Als sich Ende 2019 mehrere Kandidatenpaare für den SPD-Vorsitz bewarben und die Partei die Mitglieder abstimmen ließ, unterstützte Kühnert mit seinen Jusos die beiden linken Außenseiter Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Wochenlang machten die Jusos für die beiden Stimmung - und gegen den damaligen Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der als Favorit für den SPD-Vorsitz galt.
Esken und Walter-Borjans gewannen. Als die Ergebnisse der Abstimmung am Abend des 30. November 2019 bekannt gegeben wurden, fing eine Kamera die Reaktion von Kühnert auf, der unverhohlen begeistert war. Eine Szene, mit der Kühnert kürzlich in einer TV-Show konfrontiert wurde. "So sehr freuen Sie sich, dass Olaf Scholz nicht Parteivorsitzender geworden ist", sagte die Moderatorin zu Kühnert und fragte ihn: "Hat er doch einen Grund, Ihnen zu misstrauen?"
Die SPD hat einen rechten und einen linken Flügel
Eine berechtigte Frage. Als Bundeskanzler muss sich Olaf Scholz darauf verlassen können, dass seine Partei mit ihm an einem Strang zieht. Erst recht, da er nicht Vorsitzender der SPD ist. Das sind weiterhin Saskia Esken und nun auch Lars Klingbeil, der auf Norbert Walter-Borjans folgt, der nicht mehr antreten wollte. Mit Esken hat Scholz inzwischen ein gutes Verhältnis, mit Klingbeil hat er es schon lange.
Klingbeil war vier Jahre lang SPD-Generalsekretär, gilt als einer der Architekten des SPD-Wahlsiegs und hat großen Anteil am Zusammenhalt der ehemals schwer zerstrittenen Flügel der Partei. Er ist zwar konservativ, wie Scholz, hat es jedoch perfekt verstanden, zwischen den Parteifronten zu vermitteln. Mit Kevin Kühnert ist er inzwischen gut befreundet, was nicht selbstverständlich war, da auch die beiden oft kontroverse politische Ansichten haben.
Politik ist die Suche nach Kompromissen
Doch die Neuausrichtung der Partei, die gemeinsame Arbeit am Wahlprogramm und auch der Wahlkampf haben Klingbeil und Kühnert zusammengeschweißt und wohl auch das gegenseitige Verständnis wachsen lassen. Ob das im Verhältnis von Kühnert zu Olaf Scholz auch gelingen kann?
Im Wahlkampf unterstützte Kühnert Scholz loyal und sorgte auch dafür, dass die Juso-Spitze sich mit Kritik auffällig zurückhielt. Doch er macht keinen Hehl daraus, dass er mit Scholz politisch nach wie vor nur bedingt auf einer politischen Linie liegt. "Wenn ich etwas anderes sagen würde, würde ich lügen", gibt Kühnert offen zu. "Aber Olaf Scholz und ich sind nicht zufällig Mitglied derselben Partei." Bei der Wahl zum Bundeskanzler habe er Scholz "gerne und mit Freude" seine Stimme gegeben, so Kühnert. "Wie die anderen 48 Jusos aus der Bundestagsfraktion auch."
Wer darf wem Ratschläge erteilen?
Kevin Kühnert und Olaf Scholz wissen, dass sie aufeinander angewiesen sind. Ohne Scholz hätte die SPD die Bundestagswahl nicht gewonnen, Kühnert gilt als das größte Nachwuchstalent der SPD. Doch die beiden werden sich gegenseitig im Blick haben und Kühnert wird nicht immer zurückstecken.
Das wurde kürzlich auf dem Juso-Bundeskongress deutlich, nachdem Olaf Scholz die Nachwuchsorganisation aufgerufen hatte, sich mit Kritik an FDP und Grünen in Zukunft zurückzuhalten. Er fände es sinnvoller, "dass man sich mehr mit der Union beschäftigt als mit denen, mit denen wir jetzt hier den Aufbruch wagen wollen", so Scholz. Dies sei "nur ein kleiner Tipp von mir" an die Jusos.
"Da dies ein Tag der Tipps zu sein scheint", konterte Kühnert darauf, gebe er den Ratschlag, in der Ampel-Koalition "selbstbewusst" aufzutreten. Was er damit meint, hat er seitdem noch häufiger gesagt. In einer Koalition müsse man zwar gut zusammenarbeiten, gleichzeitig aber die inhaltlichen Unterschiede zwischen den Parteien herausarbeiten und zur Geltung kommen lassen. Daraus dürfe kein "permanenter Spaltpilz für die Zusammenarbeit" werden. "Aber dass die FDP und die SPD nicht aus demselben politischen Stall entstammen, das kann man nicht verstecken."
Die SPD will ein eigenes Machtzentrum sein
So ist Kühnert auch nicht gestrickt. Als SPD-Generalsekretär wird er dafür sorgen, dass die Sozialdemokraten als eigenes Machtzentrum wahrgenommen werden, das nicht im Schatten des Kanzleramts steht oder lediglich als Anhängsel der Regierung verstanden wird. Ob das ohne Reibereien und Konflikte gelingen kann, muss sich erst noch zeigen.