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Kinder in Bolivien kämpfen für Recht auf Arbeit

Sara Shahriari / das1. Mai 2013

Viele Kinder und Jugendliche in Bolivien arbeiten, obwohl das gesetzliche Mindestalter dafür bei 14 Jahren liegt. Manche sind inzwischen in einer Gewerkschaft.

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Ein Junge arbeitet auf einer Zuckerrohrplantage in Bolivien (Foto: Noah Friedman-Rudovsky)
Bild: Noah Friedman-Rudovsky

Kinderarbeit in Bolivien hat viele Gesichter: Zum Beispiel das lebhafte und fröhliche von Deyna Mamani. An den Wochenenden verkauft die Zwölfjährige schon seit vier Jahren Fruchtsäfte, um ihre Großmutter bei der Arbeit auf dem Markt in La Paz zu unterstützen. Sie arbeitet regelmäßig, weil ihre Eltern finanzielle Probleme haben und sie selber Geld verdienen muss, um sich Schulbücher und Busfahrkarten zu leisten.

Andere Gesichter von arbeitenden Kindern sind ernst und misstrauisch, wie das von Rodrigo Medrano Calle. Bis spät in die Nacht bietet der 14-Jährige Zigaretten und Kaugummi in den Bars der bolivianischen Hauptstadt an. Im ganzen Land sieht man Mädchen, die auf Friedhöfen Grabsteine polieren, Jungen die in der Mittagshitze die Schuhe von Passanten putzen und zierliche Jugendliche, die sich an der körperlich besonders anstrengenden Zuckerrohrernte beteiligen.

Recht auf Arbeit?

Eigentlich dürften Rodrigo und Deyna nicht arbeiten: das Mädchen ist jünger als 14 und der Junge ist spät abends in Bars tätig, was in Bolivien Jugendlichen unter 18 verboten ist, weil es als zu gefährlich gilt. Doch die beiden lassen sich nicht davon abhalten. Sie sind sogar in der Union der Kinder- und Jugendarbeiter Boliviens (UNATsBO) aktiv: einer Gewerkschaft, die gegen die Ausbeutung von minderjährigen Arbeitskräften kämpft - und für ein Recht auf Arbeit für Minderjährige.

Rodrigo findet es realitätsfern und ungerecht, dass Kinder und Jugendliche in Bolivien aufgrund ihres Alters von vielen Jobs ausgeschlossen werden - denn die soziale Not ist so groß, dass ihr Einkommen von der Familie dringend gebraucht wird. Die meisten der arbeitenden Minderjährigen in Bolivien unterstützen die Erwachsenen auf Bauernhöfen oder sind im informellen Sektor in den Städten tätig. Ihre Aktivitäten werden daher offiziell nicht immer als "Kinderarbeit" definiert: Laut den Prinzipien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hängt es von dem Alter, der Anzahl der Arbeitsstunden, den Arbeitsbedingungen und den Zielvorgaben des betreffenden Landes ab, ob eine Tätigkeit als Kinderarbeit bezeichnet werden kann oder nicht.

Deyna Mamani (rechts) und ihre Großmutter auf dem Markt in La Paz (Foto: Sarah Shahriari)
Deyna Mamani arbeitet an den Wochenenden auf dem Mark - zusammen mit ihrer GroßmutterBild: Sara Shahriari

Kinder vor Gefahr und Ausbeutung schützen

Auch die meisten der jungen Gewerkschafter von UNATsBO sind der Meinung, dass Jugendliche und Kinder nicht im Bergbau oder bei der Zuckerrohrernte arbeiten sollten. Doch sie wollen, dass sich die Politik nicht länger auf Altersbegrenzungen für junge Arbeitskräfte konzentriert, sondern stattdessen mehr dafür tut, um diese Minderjährigen vor unfairen Löhnen und physischen wie psychischen Übergriffen durch Arbeitnehmer oder Kunden zu schützen.

Die Mitglieder von UNATsBO haben schon viele Streiks und Märsche organisiert, um für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Auf nationaler Ebene haben sie schon viel erreicht: Der Druck von UNATsBO trug dazu bei, dass Bolivien 2009 einen Artikel seiner Verfassung geändert hat, der Kinderarbeit verbietet. Stattdessen ist jetzt das Verbot der "Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen" in der Verfassung verankert.

Die Gewerkschaft habe ihr Leben verändert, sagt Gladis Sarmiento: Durch Informationen über ihre Rechte als Arbeitnehmerin und den neuen Mut, ihre Stimme gegen Ungerechtigkeiten zu erheben. Sie hat schon als Fünfjährige in der Nähe des Elternhauses Popcorn verkauft. Heute ist sie 25, leitet Theaterkurse für Kinder aus sozial schwachen Familien und engagiert sich für arbeitende Minderjährige in der Gewerkschaft UNATsBO: "Die Kinder und Jugendlichen fühlen sich gut, wenn sie am Gewerkschaftsleben teilnehmen. Unsere Lebensrealität ist manchmal sehr hart, aber wir sehen auch, dass wir einiges verändern können."

Kinder und Jugendliche aus der Gewerkschaft UNATsBO (Foto: Sarah Shahriari)
Die Kinder und Jugendlichen von UNATsBO kämpfen gemeinsam für bessere ArbeitsbedingungenBild: Sara Shahriari

Die bolivianische Regierung und die ILO versuchen ihrerseits, Kinder vor Ausbeutung zu schützen indem sie sie beispielsweise von gefährlichen Tätigkeiten ausschließen. Gleichzeitig sollen die Arbeitszeiten so geregelt sein, dass den Kindern genug Zeit für die Schule bleibt.

Aus der Not geboren

Doch letztendlich nennen alle Mitglieder von UNATsBO nur ein Wort, wenn sie gefragt werden, wieso sie in so jungen Jahren schon arbeiten: die Not. Sie müssen jüngere Geschwister ernähren, Schulbücher kaufen und den Eltern dabei helfen, die Rechnungen der Familie zu begleichen. Obwohl die Zahl der in Armut lebenden Menschen in Bolivien in den vergangenen Jahren abgenommen hat, spielen minderjährige Arbeitskräfte immer noch eine zentrale Rolle für das Überleben vieler Familien.

"Wenn uns jemand sagt, wir sollen nicht mehr arbeiten, hört keiner von uns darauf", sagt Sonia Caba Flores, die neben der Schule am Friedhof Grabsteine poliert, um ein wenig Geld zu verdienen. "Wenn es genug Arbeit für unsere Eltern gäbe, würden wir vielleicht nicht arbeiten, aber das ist eben nicht der Fall."