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PolitikAfrika

Gesuchter Milizenführer Kony in Darfur gesichtet

Antonio Cascais | Jean Fernand Koena
15. April 2022

Die in der Zentralafrikanischen Republik angekündigte Entwaffnung ehemaliger Milizionäre der Lord’s Resistance Army verzögert sich. Der gesuchte LRA-Gründer Kony soll im Sudan sein.

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Ein ehemaliger Kindersoldat spricht in ein Mikrofon der DW
"Wir haben Kony gesehen" - Ehemalige Kindersoldaten im Interview mit der DW Bild: Jean-Fernand Koena/DW

"Joseph Kony lebt", behauptet der ehemalige Kindersoldat der Lord´s Resistance Army (LRA), Michel Mbolifouko, im Interview mit der DW. "Er lebt zurzeit in der sudanischen Region Darfur und erteilt seinen Kämpfern nach wie vor Befehle. Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen."

Joseph Kony ist der berüchtigte Gründer der LRA. Auf sein Konto gehen Tod und Zerstörung, Vergewaltigungen und Entführungen.

DW-Korrespondent Jean Fernand Koena, der in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) mit zahlreichen von Kony rekrutierten ehemaligen Kindersoldaten gesprochen hat, hält die Aussagen des 15-jährigen LRA-Aussteigers Michel Mbolifouko für glaubwürdig. Auch andere ehemalige Kindersoldaten, die in den letzten Wochen in die Stadt Obo, im Osten der ZAR, geflohen sind, hätten sie ihm gegenüber bestätigt. Kony halte sich in Darfur auf, im Westen des Sudan, so die einhellige Meinung.

Karte der Zentralafrikanischen Republik mit Nachbarländern Tschad, Suda, Südsudan, DR Kongo, Kongo, Kamerun

Per Haftbefehl gesucht

Es wäre eine Sensation, wenn sich diese Informationen bewahrheiten würden, denn der Gründer und Anführer der "Widerstandsarmee des Herrn" wurde seit vielen Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Dabei wird seit 2005 weltweit nach ihm gesucht - mit Haftbefehl durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. US-amerikanische Agenten, UN-Soldaten, eine Taskforce der Afrikanischen Union (AU) und Angehörige der offiziellen Armeen in den Ländern, in denen die LRA aktiv ist, fahnden ebenfalls nach Kony. Uganda allerdings stellte die Suche vor einigen Jahren offiziell ein.

Doch niemand konnte ihn bisher fassen.

Porträtphoto von Joseph Kony in Uniform, umgeben von Kämpfern seiner LRA
Seit Jahren untergetaucht: der mutmaßliche Kriegsverbrecher Joseph KonyBild: Stuart Price/AP Photo/dpa/picture alliance

"In den letzten Jahren war Kony untergetaucht. Unsichtbar. Es gab viele Gerüchte, dass er nicht mehr am Leben ist", so DW-Korrespondent Koena. Die Aussagen der ehemaligen Kindersoldaten könnten jetzt neue Hinweise liefern, die zur Ergreifung eines der brutalsten Kriegsverbrechers Afrikas führen könnten.

Räuberbande LRA

Joseph Kony hatte die LRA im Jahr 1987 im Norden Ugandas gegründet. Mit ihrer Hilfe wollte er Präsident Museveni aus dem Amt jagen und einen christlichen Gottesstaat errichten. Nachdem die LRA-Kämpfer vom ugandischen Militär aus dem Land vertrieben wurden, sorgten sie in den politisch instabilen Nachbarländern der Region - vor allem im heutigen Südsudan, im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo und auch im Südosten der Zentralafrikanischen Republik - wo sie im Volksmund 'Tongo-Tongo' genannt werden -  für Angst und Schrecken. Berüchtigt wurden sie vor allem, weil sie Tausende Kinder entführten und mit Brutalität zum bewaffneten Kampf und zu Mord und Totschlag zwangen. Mädchen wurden als Sexsklavinnen missbraucht.

Kämpfer der LRA, teils in Uniform und teils zivil gekleidet, durchstreifen bewaffnet den Busch
Kämpfer der LRA, hier auf einem Foto aus dem Jahr 2006Bild: AP Photo/picture alliance

"Drei Jahre habe ich bei den 'Tongo-Tongo' verbracht. Sie haben mich immer wieder misshandelt. Erst jetzt konnte ich entfliehen", erzählt Kindersoldat Michel Mbolifouko der DW. Er ist einer von circa 60 Minderjährigen aus den Reihen der LRA, die seit Anfang April in Obo eingetroffen sind und die erst einmal in Notunterkünften und bei Gastfamilien untergebracht werden müssen. Vor drei Jahren wurde er, damals zwölf Jahre alt, von bewaffneten LRA-Milizen aus seinem Dorf entführt, berichtet  er. Schwerbewaffnet sei er durch die Wälder gelaufen, vornehmlich auf sudanesischem Gebiet und in der Demokratischen Republik Kongo. Er habe sich an Überfällen auf Bauern und Hirten beteiligen müssen. Erst Ende März habe er sich endlich von den Tongo-Tongo befreien können.

Kindersoldaten steigen aus

"Nun sind die LRA-Kämpfer müde und unmotiviert, kaum einer will bei der LRA bleiben", berichten die von der DW interviewten geflüchteten Kindersoldaten. Die Anzahl der Kämpfer in den Reihen der LRA schätzen Beobachter inzwischen auf unter 1000. Viele wollen sich ergeben und ein normales Leben führen.

Zwei Frauen und ein Mann sitzen auf Holzstühlen vor den Mauern eines Hauawa in einem Dorf
Ehemalige Kindersoldaten kommen in Obo bei Gastfamilien unterBild: Jean-Fernand Koena/DW

"Es gab auch schon Gespräche zwischen Anführern der LRA und Vertretern der Regierung der Zentralafrikanischen Republik", bestätigt der Parlamentsabgeordnete Ernest Mizedjo. In der Hauptstadt Bangui vertritt er die Region Haut Mbomou. Anfang des Jahres seien in Bangui Gerüchte zu hören gewesen, Joseph Kony persönlich habe einen Waffenstillstand in Aussicht gestellt. Im Gegenzug wolle er in einen möglichen Friedensprozess eingebunden werden. Außerdem wolle er die zentralafrikanische Staatsangehörigkeit annehmen, so Mizedjo im DW-Interview. Die Frage sei, was wirklich hinter diesem Waffenstillstandsangebot stecke, ob es die LRA wirklich ernst meine. 

Angekündigter Waffenstillstand verzögert sich

Doch die Umsetzung des für vergangenen Dienstag (12.04.2022) angekündigten Waffenstillstands verzögert sich. "Das Mistrauen ist nach wie vor groß, auch seitens der Bevölkerung im Südosten der ZAR, die unter Angriffen, Plünderungen und Entführungen gelitten haben", erläutert DW-Korrespondent Koena. Deshalb seien bislang keine bewaffneten Kämpfer in Obo angekommen, sondern vor allem minderjährige, ehemalige Kindersoldaten.

Ein ehemaliger Kindersoldat vor einem Mikrofon der Deutschen Welle
Von der DW interviewter Kindersoldat in der Zentralafrikanischen RepublikBild: Jean-Fernand Koena/DW

Der 17-jährige Justin Aristide Niko, auch er ein geflüchteter Kindersoldat, ruft im DW-Interview alle LRA-Kämpfer auf, nach Obo zu kommen und die Waffen niederzulegen. "Es ist möglich, zu überleben, ohne Dörfer zu überfallen oder Menschen auszurauben und zu entführen. Wir können auch das Land bestellen und Sesam, Kartoffeln und Erdnüsse anbauen."

"Wir können die Gewalt nicht vergessen"

Viele Einheimische bleiben skeptisch und glauben nicht an die Möglichkeit eines Zusammenlebens Tür an Tür mit den Tätern, von denen viele aus Uganda stammen: Maurice Mbassilimoké, Vorsteher des Dorfes Sam-Ouandjia, vor den Toren von Obo, gibt zu bedenken: "Wir können all die Gewalt, die uns von diesen Bestien angetan wurde, nicht vergessen. 2008 haben LRA-Männer unser Dorf überfallen. Sie nahmen Männer gefangen, sie mordeten und folterten. Und viele unserer Kinder entführten sie."

Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden insgesamt mehr als 100.000 Menschen in verschiedenen Ländern und Regionen durch die LRA getötet sowie zwischen 60.000 und 100.000 Kinder entführt, die auch als Kindersoldaten oder Sexsklavinnen eingesetzt wurden.