Kippa-Tag: "Bonn ist tolerant"
19. Juli 2018Die Sonne brennt unbarmherzig herunter auf die, die sich kurz vor 15 Uhr auf dem Bonner Marktplatz versammeln. Einige erscheinen gut vorbereitet mit Plakaten und Kippa. Doch auch die, die vielleicht gerade bei ihren Einkäufen überrascht worden sind, können sich die traditionelle Kopfbedeckung männlicher Juden noch spontan vorne am Rathaus abholen, um so ihre Solidarität zu zeigen. "Männer und auch Frauen", tönt es aus einem Lautsprecher, "aber bitte nach der Veranstaltung wieder zurückgeben".
Eigentlich sollte die Protestaktion erst im November stattfinden. Doch nach einer antisemitischen Attacke in Bonn hat die Stadt prompt reagiert und den "Tag der Kippa" vorgezogen. Der in den USA lebende, israelische Hochschulprofessor Jitzchak Jochanan Melamed war Mitte vergangener Woche von einem Mann auf seine Kippa angesprochen und beleidigt worden. Der Unbekannte schubste dem 50-Jährigen die Kopfbedeckung herunter und schlug ihm gegen die Schulter. Dabei fielen laut Melamed auch die Worte "Kein Jude in Deutschland".
Zu allem Überfluss hielten die daraufhin von einer Bekannten herbeigerufenen Polizisten den Professor der Universität Baltimore irrtümlich selbst für den Aggressor, brachten ihn zu Fall und schlugen ihn ins Gesicht. Der eigentliche Angreifer, ein 20-jähriger Deutscher mit palästinensischen Wurzeln, wurde laut Polizei wenig später festgenommen. Gegen ihn und auch gegen die eingesetzten Beamten wird nun ermittelt.
"Die Politik tut zu wenig"
Fabian Kluth und Franca Fuks-Markovic von den Jungen Liberalen, der Jugendorganisation der FDP, haben über Facebook vom "Tag der Kippa" mitbekommen. Was dem jüdischen Professor in ihrer Stadt passiert ist, können sie nicht tolerieren. Um das zu zeigen, haben auch sie heute eine Kippa auf dem Kopf. "Alle Religionen sollten frei ausgelebt werden können", ist der 18-jährige Kluth überzeugt. Dafür tut die Politik seiner Meinung nach bislang aber außer Lippenbekenntnissen zu wenig.
Kurz nach dem judenfeindlichen Angriff und dem viel kritisierten Auftreten der Polizei hatten bereits die Bonner Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa und Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul bei Melamed um Entschuldigung gebeten. Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) betont in einem Grußwort an den Professor in Englisch, wie leid ihm der Vorfall tut: "Please come back to Bonn, we are looking forward to have you here."
Auch verspricht Sridharan - dann wieder auf deutsch - eine lückenlose Aufklärung und weist auf die insgesamt kritische Lage hin: Antisemitische Anfeindungen seien in Deutschland wieder an der Tagesordnung. Bei den Protestaktionen dagegen gehe es "nicht nur um unsere historische Verantwortung, sondern auch um unsere Verantwortung für die Menschen, die hier leben und nicht zuletzt für die Demokratie in Deutschland".
Buhrufe erntet der Bonner Bürgermeister für den Hinweis, dass die "Aggressoren nicht selten Migranten aus arabischen Staaten" sind. Auch einige sich selbst lobende Bemerkungen werden dementsprechend von den circa 600 Menschen auf dem Marktplatz quittiert.
Deutliche Worte zur Situation von Juden
Noch drastischere Worte zur Situation von Juden in Deutschland und in der Welt findet nach Sridharan dann die Vorsitzende der Synagogengemeinde Bonn, Margaret Traub: "Menschen werden angefeindet, nur weil sie Juden sind! Kinder werden in der Schule gemobbt, nur weil sie Juden sind! Es ist genug!" Mittlerweile rate sie Glaubensgenossen aus Sicherheitsgründen sogar, die Kippa nicht in der Öffentlichkeit zu tragen, verrät Traub danach im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Dennoch spendeten die Menschen, die heute gekommen seien, den Juden in Deutschland "in diesen dunklen Zeiten Mut und Kraft". Als dritter und letzter Redner lobt auch Martin Frick vom Sekretariat der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) das Engagement der Bonner.
"Kritik an Israel muss trotzdem möglich sein"
Peter Bergmann ist einer von ihnen. Auf die Frage, warum er gekommen ist, erklärt er: "Das treibt mich einfach um. Und so etwas wie heute ist eine Möglichkeit, um meine Gesinnung zu zeigen. Man muss, so früh es geht, gegen Judenfeindlichkeit gegensteuern." Was für den agilen 75-Jährigen umgekehrt jedoch nicht heißt, die Politik Israels immer gutheißen zu müssen: "Israel ist leider derzeit auf keinem guten Weg. Man darf nicht vergessen, dass auch die Palästinenser Rechte haben."
Obwohl es mitten unter der Woche ist und trotz des heißen Wetters ist es vielen Bonnern an diesem Nachmittag wichtig, mit ihrer Anwesenheit ein Zeichen zu setzen. Wie Bürgermeister Sridharan scheinen auch sie sagen zu wollen: Ja, Bonn ist tolerant. Bonn ist nicht so wie der Vorfall letzte Woche. Doch nach den Reden leert sich dann der Marktplatz auch schnell wieder, der "Tag der Kippa" ist eher eine "halbe Stunde der Kippa". Die meisten der verschwitzten Stoffmützen werden brav wieder zurückgegeben.