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GesellschaftDeutschland

Kirche in Corona-Zeiten: "Ein ganz anderes Fest"

23. Dezember 2020

Wegen der Pandemie fallen in Deutschland zahlreiche Gottesdienste an Heiligabend und Weihnachten aus. Kirchen setzen auf kleine Ideen und große Übertragungen.

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Stadtkloster Segen im Prenzlauer Berg in Berlin
Bild: Christoph Strack/DW

"Wir haben viel gelernt. Und wir haben unsere Konsequenzen gezogen". Wladimir Pritzkau ist stellvertretender Vereinsvorsitzender der "Evangeliums Christen Baptisten" in Frankfurt am Main. Einer freikirchlichen Gemeinde, die im Mai 2020 wegen eines Superspreader-Events mit rund 200 Corona-Infizierten bundesweit für Aufsehen und Empörung sorgte. Bei der Feier im Stadtteil Rödelheim wurde ohne Schutzmasken gemeinsam gesungen und gegessen.

Auch an diesem Heiligabend wird bei der Gemeinde gefeiert. "Wir haben jetzt strenge Regeln für den Gottesdienst", sagt Pritzkau, der Rentner ist, der Deutschen Welle. Und es dürften "viel weniger" Leute als im Sommer teilnehmen, weniger als ein Drittel. Man werde erst kurzfristig entscheiden, ob es mehr als eine Feier gebe. Wie wird das von der Stadt, den Behörden begleitet nach der Eskalation im Sommer? Pritzkau antwortet auf die Frage, ob die Polizei vorbeischaue, dass seit vielen Wochen immer mal jemand vorbei komme und sich die Gottesdienste anschaue, "aber nicht in Uniform". Das sei wohl jemand von den Behörden.  

	Coronavirus | Baptisten-Gemeinde Frankfurt am Main
Die Gemeinde der "Evangeliums Christen Baptisten" geriet im Mai in die SchlagzeilenBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Polizeieinsatz und Absagen

Gerade sogenannte Freikirchen aus dem Umfeld des Protestantismus, die nicht oder nur jenseits der etablierten Strukturen wie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) organisiert sind, wurden in Deutschland in diesem Jahr immer wieder zu Orten, an denen sich das Virus verbreitete. Und an denen Vorschriften missachtet wurden. Sie feiern, charismatisch bewegt, gerne in Hinterhof-Räumen oder Privatwohnungen. Das jüngste Beispiel: Am Sonntag, dem vierten Advent, sprengten laut Medienberichten Polizisten in Essen im Ruhrgebiet einen sogenannten Gottesdienst mit 86 Teilnehmern, bei dem die Corona-Regeln ignoriert wurden. Es war eine Feier einer Art Pfingstkirche, die ihre Wurzeln in Ghana hat.

Wohl auch wegen solch kaum kontrollierbarer Events, die jede Vorschrift ignorieren, werden die Rufe lauter, an Heiligabend und den Weihnachtstagen auf jegliche Gottesdienste zu verzichten. Eigentlich lassen die Verordnungen der 16 Bundesländer in Deutschland Gottesdienste in engen Grenzen zu. Aber Politiker streiten, Mediziner bitten und drängen, zum Teil plädieren sie auch offen für ein Verbot von kirchlichen Feiern. Gerade im Nordwesten Deutschlands, in Niedersachsen, sagen Stadtkirchen oder einzelne Gemeinden auf evangelischer, aber auch katholischer Seite alle Gottesdienste ab. Ähnliches ist aus einzelnen Städten in Bayern zu hören.

Bischöfe sowie führende Geistliche der großen Kirchen, deren Berliner Repräsentanten sich in den vergangenen Wochen mehrfach mit Experten des für Religionsgemeinschaften zuständigen Bundesinnenministers trafen, wehren sich gegen strikte Verbote, signalisieren aber Verständnis für jede Begrenzung. Mancher Bischof empörte sich polternd, auch weil in Bayern ab 21 Uhr Ausgangssperre herrscht und damit jeder Gottesdienst deutlich früher enden muss. Andererseits: Selbst Papst Franziskus feiert im (weithin leeren) Petersdom an Heiligabend schon Stunden früher als sonst, damit die Angestellten des Vatikans vor den Beschränkungen der Behörden rechtzeitig in ihre Wohnungen in der Stadt kommen können. Und in Österreich verkünden die katholischen Bischöfe, dass vom 28. Dezember bis 10. Januar kein einziger katholischer Gottesdienst im Land öffentlich gefeiert werden soll.

Die Stunde der Fernsehgottesdienste

Seit den am 16. Dezember gestarteten erneuten Beschränkungen, erst recht seit Bekanntwerden einer neuen, ansteckenderen Variante des Corona-Virus in England, streichen Gemeinden die Pläne für Weihnachten zusammen, verzichten auf jede Feier auf öffentlichen Plätzen. Mancherorts hatte - um die Abstandsregeln einzuhalten - Heiligabend in Stadien gefeiert werden sollen, in Bremen wollte eine katholische Gemeinde auf die Galopprennbahn, in München sollte der Englische Garten zur Bühne für einen Ökumenischen Gottesdienst mit den Spitzenvertretern der Kirchen werden, in Berlin wurde eingeladen auf den Platz vor dem evangelischen Berliner Dom – alles vorbei.

"Es ist eine Situation, in der man hin- und hergerissen ist", sagt Kölns Stadtdechant Robert Kleine der Deutschen Welle. An diesem Mittwochmorgen kommt er von der Frühmesse aus dem Kölner Dom. Da betete er auch für die Opfer der Pandemie - 962 Tote binnen eines Tages, mehr als je zuvor, wurden am Morgen von offizieller Seite gemeldet. Er habe Verständnis für die Sehnsucht der Menschen nach einem Gottesdienst am Weihnachtsfest, andererseits gelte es, jede Schutzmaßnahme zu beachten. Im großen Kölner Dom, in dem an Heiligabend mehrere Feiern stattfinden, gehe das, sagt Kleine. Aber "wer auch nur etwas Angst oder Sorge hat, soll zuhause bleiben". Der Stadtdechant kennt Regionen im Osten des Erzbistums, im Bergischen Land, in denen die Inzidenzzahlen deutlich höher sind als in der Domstadt. Auch dort sollen bis 10. Januar alle Messfeiern ausfallen.

Kleine verweist auf Übertragungen im Radio, Fernsehen oder Internet. Es ist die Stunde der Einladung zur Gottesdienst-Mitfeier in den Wohnstuben. Wohl nie zuvor wurden in Deutschland so viele Messen und Gottesdienste übertragen oder gestreamt wie in diesen Weihnachtstagen 2020. Seit vielen Wochen verbreiteten die zentralen Verwaltungen der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz Arbeitsmaterialien für weihnachtliche Feiern im Familienkreis. Neuland. Manchmal auch Kreativität und - der Not geschuldet - Mut. "Das wird ein ganz anderes Weihnachtsfest", sagt Kleine.

Glaubenskrise in Deutschland

Glockengeläut und ein gemeinsames Lied

In einigen Städten kündigen Kirchen Zeichenhaftes an. In Augsburg sollen, wie auch in weiteren Orten, um 22 Uhr an Heiligabend alle katholischen und evangelischen Kirchenglocken der Stadt läuten - als Zeichen der Weihnachtsbotschaft "Frieden auf Erden" und der Verbundenheit. Und in Leipzig gibt es - dem Shutdown zum Trotz - schon seit vielen Wochen den Aufruf zur Aktion "#achtzehn8 - Leipzig singt Stille Nacht". Leipziger Künstlerinnen und Künstler haben das Lied im Studio mit verteilten Stimmen eingespielt. Jeder soll einstimmen, und Lokalfernsehen und -zeitungen, auch überregionale Radiosender streamen die Aktion live. Und in Berlin sieht man, so wirkt es, im abendlich-dunklen Stadtbild vor Gotteshäusern und Wohnhäusern, in Kirchtürmen und an Balkonen noch mehr der erleuchteten großen "Herrnhuter Sterne" als üblich.

Georg Schubert
Auch Georg Schubert vom evangelischen "Stadtkloster Segen" muss umdenken in diesem Jahr Bild: DW/C. Strack

So wie vor dem evangelischen Stadtkloster Segen der aus der Schweiz stammenden Gemeinschaft Don Camillo an der Schönhauser Allee im Prenzlauer Berg. Mehr als ein halbes Dutzend heller Sterne hängt in der gut 110 Jahre alten Backstein-Fassade. "Willkommen - die Kirche ist offen", steht auf einem großen Plakat. "Wir haben das schon länger so geplant", sagt Kommunitäts-Mitglied Georg Schubert der Deutschen Welle. "An einem normalen Heiligabend bei der evangelischen Kirche im Prenzlauer Berg kommen zu fünf Krippenspielen und zu Gottesdiensten auf einem Schulhof 9000 Menschen." Das gehe diesmal nicht, gar nicht.

Wer mag, kann bei einem Spaziergang vorbeischauen. Kann kurz innehalten, den leuchtenden Christbaum sehen und die einfache Krippe. "Und zu jeder Stunde gibt es mit einem Text einen ganz kurzen Impuls", sagt Schubert. Wer es wünscht, wer vielleicht einsam sei, könne ein Gespräch führen. Aber bei allem werde auf die Einhaltung der Abstandsregeln und des Pandemie-Schutzes geachtet. Dabei bleiben wir, sagt Schubert, "eine offene Kirche".