Kirchentag: "Zeit für Waffen" für die Ukraine
8. Juni 2023"Im Augenblick legitimiert dieser Krieg alles", sagt Jan Gildemeister. "Die Etats von allen Bundesministerien werden gekürzt, nur das Verteidigungsministerium verzeichnet einen Zuwachs. Und es werden Waffensysteme besorgt, die überhaupt nichts mit Russland zu tun haben", beschwert er sich.
Gildemeister ist Geschäftsführer der "Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden". Mit einigen Mitstreitern wirbt er beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg, der größten kirchlichen Veranstaltung in Deutschland im Jahr 2023 mit gut 60.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, an einem Stand in Halle 1 für die "Ökumenische FriedensDekade", ein Bündnis vieler kirchlicher Gruppen.
"Schwerter zu Pflugscharen?"
In der Halle finden sich unter anderem auch die "Vereinigten Kriegsdienstgegner", das Forum Ziviler Friedensdienst und das Berliner Antikriegsmuseum. Namen und Titel der Gruppen mögen kompliziert sein – das Logo der "FriedensDekade" ist international bekannt. "Schwerter zu Pflugscharen" steht auf Aufklebern und Plakaten, Bierdeckeln und Ansteckern.
Das biblische Wort steht für Frieden zwischen den Völkern. In den 1980er Jahren wurde es zum Symbol nichtstaatlicher, häufig kirchlicher Abrüstungsinitiativen in der damaligen DDR. Die westdeutsche Friedensbewegung übernahm es. Die dazugehörige Zeichnung zeigt einen Schmied, der ein Schwert zu einer Pflugschar umarbeitet.
Wer vor 30 oder 40 Jahren zu einem der großen Christentreffen in Deutschland ging, hatte nicht selten einen Aufkleber mit genau diesem Motiv auf der Tasche. Evangelische Kirchentage in Deutschland prägten politische Debatten. Bei den Kirchentagen in Hamburg 1981 und in Hannover 1983 gingen Hunderttausende auf die Straße und wandten sich gegen Aufrüstung.
Und nun? Angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine, angesichts des Krieges in Europa? Sie sind auch bei diesem Kirchentag Thema, aber sie sorgen nicht mehr für große Kontroversen, scheint es.
Steinmeier: Putins "Vernichtungsfeldzug"
Deutlich wurde das schon bei der Eröffnung. Da sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, selbst evangelischer Christ. Für seinen Kurs gegenüber Russland während seiner Zeit als Außenminister unter Kanzlerin Angela Merkel wird er von nicht wenigen Experten kritisiert; viel zu lange habe die deutsche Seite, auch die deutsche Sozialdemokratie Russland hofiert und seine Machtansprüche hingenommen.
Nun spricht Steinmeier auf dem Kirchentag vom "brutalen, menschenverachtenden Angriffskrieg Wladimir Putins auf die Ukraine", der "unendliches Leid, Zerstörung und Tod über die Ukrainerinnen und Ukrainer" bringe. Steinmeier wirft Putin wörtlich einen "Vernichtungsfeldzug" vor.
"Mischt Euch ein!"
"Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich einmal sagen würde: Es ist auch Zeit für Waffen", sagt er. "Ich weiß ja, dass ich Euch nicht lange auffordern muss zu diskutieren. Hört bloß nicht auf damit, das ist mein Wunsch an Euch. Mischt Euch ein!"
Die Rede Steinmeiers wird gelegentlich von Beifall unterbrochen. Am Ende bekommt sie auch nur den für Kirchentage üblichen Applaus. Als er während der Rede auf das Thema Ukraine kommt, sind bald immer mal wieder einzelne, wohl kritische Rufe aus Ecken des Platzes zu hören.
Deutlicher hört man die Erwiderungen "Moskau", die einzelne Kritiker schreiend erwidern. Aber nichts davon stört in irgendeiner Weise den Redefluss des Präsidenten.
Parteiübergreifende Linie
Die massive Verurteilung des Angriffskrieges – das ist der Ton, der weitere Wortmeldungen von Bundespolitikern während der ersten zwei Tage Kirchentag prägt. CDU-Chef Friedrich Merz nennt den "Krieg in Europa" eine "tiefe Zäsur". Ähnlich äußert sich Britta Hasselmann, Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion.
Und auch Manuela Schwesig, SPD-Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, lässt bei ihrem Auftritt, einer sogenannten "Bibelarbeit" zu einem Text aus dem Neuen Testament, irgendwann mal kurz "den schrecklichen Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine" einfließen. Aber kein Wort zu ihren persönlichen Verbindungen zu Putin-Vertrauten, die in Deutschland seit Monaten diskutiert werden und für die sie in der Kritik steht.
Ansonsten gilt: Die Unterstützung der Ukraine mit Waffen, das Thema der Rüstungslieferungen sorgt nicht für große Debatten oder Proteste. Das wird auch daran liegen, dass die prominenteste evangelische Mahnerin in Nürnberg gar nicht anwesend war.
Margot Käßmann, einst als Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland wichtigste Protestantin im Lande Luthers und über Jahrzehnte ein Star auf Kirchentagen, verzichtete auf eine Teilnahme.
Eine geplante Konzertlesung Käßmanns mit dem Liedermacher Konstantin Wecker unter dem Motto "Entrüstet Euch! – Von der bleibenden Kraft des Pazifismus" hatte es nicht ins Programm geschafft. Die Theologin kündigte daraufhin ihre Nicht-Teilnahme an. Käßmann und Wecker – sie hätten das Format gehabt, Tausende zu beeindrucken und die politische Bewertung zu hinterfragen.
Die größte Spannung gilt nun einem Auftritt des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Carsten Breuer, der unter anderen mit dem EKD-Friedensbeauftragten Friedrich Kramer diskutieren wird.
Nie zuvor saß auf einer Kirchentags-Bühne der oberste deutsche Soldat. In den 1980er Jahren, so darf man vermuten, wäre er vor lauter Protesten vielleicht kaum zu Wort gekommen.
Jan Gildemeister und sein Mitstreiter Thomas Oelerich, der Sprecher der "AktionsDekade", werden die Debatte vielleicht verfolgen. Oelerich sagte der Deutschen Welle, die Diskussion um den Ukraine-Krieg habe zu starken Polarisierungen geführt. "Die Leute wissen nicht mehr genau, was heute die Antworten auf eine Aggression sein können, ob 'Schwerter zu Pflugscharen' heute noch die Antwort ist."
Angst vor "Aufrüstungsspirale"
Aber ähnlich wie Gildemeister warnt auch Oelerich vor einer "neuen Aufrüstungsspirale", die mit der "von Bundeskanzler Olaf Scholz ins Leben propagierten Zeitenwende ins Leben gerufen worden ist".
Für das noch bis Sonntag dauernde Nürnberger Christentreffen haben sie keine allzu großen Erwartungen. "Ich habe nicht das Gefühl, dass es hier bei diesem Kirchentag noch die breiten Diskussionen zur Rüstungsfrage gibt", sagt Gildemeister. Dabei sei es so wichtig, Informationen und politische Entscheidungen zu hinterfragen und gesellschaftlich breit zu diskutieren.