UNESCO-Austritt der USA kann "eine Chance" sein
12. Oktober 2017Deutsche Welle: Herr Hüfner, Sie haben schon länger von der Krise der UNESCO gesprochen. Haben Sie es kommen sehen, dass die USA austreten würden?
Professor Dr. Klaus Hüfner: Ich habe es erwartet. Es konnte nicht so weitergehen. Seit sieben Jahren schulden sie ihre Pflichtbeiträge, die schon akkumuliert sind auf über eine halbe Milliarde US-Dollar. Gleichzeitig hat die Trump-Administration keinen neuen Botschafter bestellt. Wenn man sich die Politik von Trump ansieht, dann war es nur eine Frage des Zeitpunktes, wann die USA versuchen würden die UNESCO zu verlassen.
Wie kam es dazu, dass die USA so lange keine Beiträge gezahlt haben?
Das war eine Protesthaltung aufgrund einer internen Regelung aus den 1990er-Jahren. Damals hieß es, wenn Palästina, beziehungsweise die PLO, Mitglied einer internationalen Organisation werden würde, dann würden die USA nicht mehr ihre Beiträge bezahlen. Es fand im Exekutivrat und auch in der Generalkonferenz der UNESCO eine heftige Auseinandersetzung im Jahr 2011 statt, aber beide Gremien haben sich deutlich für die Aufnahme Palästinas als Mitgliedsstaat der UNESCO entschieden.
Hat die Entscheidung, Hebron zum UNESCO-Weltkulturerbe zu erklären, Öl ins Feuer gegossen?
Sicher. Und nicht nur diese Entscheidung, sondern auch alle Entscheidungen, die die Region betreffen. Es geht ja seit Jahrzehnten um Fragen der Ausgrabungen. Zum Beispiel geht es um die Frage: Werden dabei islamische oder jüdische Heiligtümer berührt oder nicht. Es ist leider nie zu einer kooperativen Kommunikation gekommen, und die Mehrheiten der Organisation haben sich schrittweise auf die Seite Palästinas gestellt. Ich finde das bedauernswert, weil ich der Meinung bin, dass der Versuch unternommen werden muss, Kompromisse zu schließen, und es wäre eine große Tat der UNESCO gewesen, wenn sie Vertreter Israels und Palästinas an einen Tisch bekommen hätte, um die anstehenden Probleme - und es sind ja echte kulturelle Probleme der Anerkennung von Welterbestätten - friedlich und gemeinsam zu lösen.
Warum ist es dazu nie gekommen?
Beide Seiten traten des Öfteren mit harten Bandagen auf und es ist so, dass es unterschwellig einen Kleinkrieg gab. Auch gegenseitige Beschimpfungen waren an der Tagesordnung. Die Sensibilitäten stiegen stark an, wenn etwa über bestimmte Heiligtümer in der Region gesprochen wird und nur die islamischen Bezeichnungen genannt werden und nicht die jüdischen. Dann ist das Grund, zumindest auf dem Papier, einen Kleinkrieg zu beginnen. Und das ging jetzt über die Jahre.
Glauben Sie, dass die Verhandlungen über die Nachfolge von UNESCO-Chefin Irina Bokova die Entscheidung der USA beeinflusst haben? Wie ist ihre Haltung gegenüber den USA?
Sie war den "P5", den fünf ständigen Vertreten des Sicherheitsrates, gegenüber zu nett und zwar deshalb, weil sie im letzten Jahr Kandidatin für das Amt des Generalsekretärs der Vereinten Nationen war. Die Entscheidung darüber fiel über die Zustimmung der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, die zugleich im Exekutivrat der UNESCO waren. Insofern hat sie Kompromisse aller Art getroffen gegenüber allen fünf Mitgliedern, die nicht im Interesse der UNESCO-Organisation waren. Sie hätte sich für ihre Kandidatur beurlauben lassen müssen, so meine Meinung.
Haben Sie den Eindruck, dass Israel aktiv auf die Entscheidung der USA, die UNESCO zu verlassen, eingewirkt hat?
Auf jeden Fall! Israel zahlt auch seit 2011 nicht den Pflichtbeitrag. Israel ist auch im Rückstand und es kann passieren, dass Israel ebenfalls austritt, denn das ist eine gemeinschaftliche Aktion. (Anm. d. Red.: Israel erklärte seinen Rücktritt, nachdem dieses Interview geführt wurde.)
Was kann die UNESCO ohne die USA ausrichten?
Es handelt sich um eine weltweite Organisation mit derzeit 195 Mitgliedsstaaten. In allen Regionen der Welt ist sie eine Organisation, die sich mit Hilfe von Bildung, Kultur, Wissenschaft und Kommunikation aktiv für den Frieden einsetzt. Sie kann auch weiterhin erfolgreich wirken, allerdings sind ihre finanziellen Mittel begrenzt. Sie ist keine Entwicklungshilfeorganisation im engeren Sinne. Sie verfügt nicht über Milliarden wie die Weltbank oder Spezialprogramme der Vereinten Nationen, etwa das Welternährungsprogramm, also kann sie nicht einflussreich sein in Bereichen der Notstandshilfe. Aber sie kann in Bereichen des Denkens, des Postulierens von Modellen der friedlichen Zusammenarbeit, der internationalen Bildung weiterhin kraftvoll wirken. Und ich hoffe das!
Was müsste ein Nachfolger, eine Nachfolgerin von Irina Bokova strategisch tun, um die UNESCO zu stärken?
Ich würde sagen, dass der Nachfolger oder die Nachfolgerin von Frau Bokova mit der Faust auf den Tisch hauen sollte, und klar machen sollte, dass die Organisation weniger leistet. Wenn die knappen Ressourcen auf die vielen Projekte verteilt werden, sind sie wirkungslos. Es verlangt jetzt von dem Nachfolger mutige Entscheidungen, den Mitgliedsstaaten deutlich zu machen, dass es so nicht weitergeht. Die Mitglieder spielen immer ein Doppelspiel. Auf der einen Seite sind sie für Effizienz und für Reformen etc., aber sobald die Generaldirektorin Vorschläge unterbreitet, gibt es einzelne Mitgliedsstaaten oder Gruppen, finanziell sehr bedeutungsvolle Mitgliedsstaaten, die dagegen sprechen und dann verläuft alles im Sande. Aber jetzt gibt es eine Chance, über den Austritt der USA reinen Tisch zu machen.
Prof. Dr. Klaus Hüfner erhielt 2011 das Große Verdienstkreuz für seine über 40-jährige ehrenamtliche Tätigkeit für die UNESCO und die Deutsche UNESCO-Kommission. Er ist Autor zahlreicher Publikationen über die Weltkulturerbeorganisation. 2013 machte er in seinem Buch "Wer rettet die UNESCO?" die Finanzkrise der UNESCO zum Thema und entwarf darin ein düsteres Bild bezüglich ihrer Zukunft.
Das Gespräch führte Sabine Oelze.