Drängender Kohleausstieg
12. September 2014Die Rufe nach einem Ausstieg aus der besonders klimaschädlichen Braunkohleverstromung werden in Deutschland immer lauter. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) präsentierte jetzt ein detailliertes Konzept, mit dem die besonders klimaschädlichen Kraftwerke in den nächsten sechs Jahren nach und nach abgeschaltet und vom deutschen Strommarkt genommen werden könnten. "Bleibt die Kohleverstromung in alten, ineffizienten Braunkohlekraftwerken so lukrativ wie heute, kann die Bundesregierung ihre Klimaschutzziele abschreiben", so der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger.
Kohlekraft verdrängt Gaskraft
2013 deckten Braunkohlekraftwerke 23 Prozent des deutschen Strombedarfs. Der damit verbundene CO2-Ausstoß ist immens: 23 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen gehen inzwischen auf das Konto der Braunkohleverstromung. Zwischen 2010 und 2013 nahm die Stromproduktion mit Braunkohle um elf Prozent zu, im gleichen Zeitraum die Verstromung mit Gas um 25 Prozent ab.
Der Grund für den Kohleboom liegt vor allem im zusammengebrochenen europäischen Emissionshandel. Mit einem Preisen von fünf Euro pro Tonne CO2-Verschmutzungsrecht ist Kohlestrom sehr günstig. Damit fehlt in Europa der Anreiz für eine klimafreundliche Stromproduktion.
Abschaltung von 24 Braunkohlekraftwerken bis 2020 empfohlen
Um die Klimaziele in Deutschland noch zu erreichen, empfiehlt der BUND einen gesetzlich geregelten Abschaltplan für die klimaschädlichsten Braunkohlekraftwerke. Zwischen 2016 und 2019 soll demnach die Hälfte aller deutschen Braunkohlekraftwerke vom Netz gehen. Die ältesten Kraftwerke sind fast 50 Jahre alt und pusten pro Kilowattstunde (kWh) Strom 1,3 Kilogramm CO2 in die Atmosphäre. Ein modernes Gaskraftwerk belastet das Klima dagegen nur mit 0,1 Kilogramm CO2 pro kWh.
Zugleich hätte die Abschaltung alter Braunkohlekraftwerke noch eine positive Auswirkung für den Strommarkt. Moderne Gaskraftwerke würden wieder gebraucht und damit rentabel. BUND-Energieexpertin Daniela Setton zeigt sich gegenüber der DW zufrieden über die ersten Reaktionen zum Ausstiegsplan. "Es gab viele positive Rückmeldungen, weil es in der Branche einen großen Druck gibt, Überkapazitäten abzubauen. So nehmen wir die schmutzigsten Kraftwerke vom Markt. Das ist überfällig."
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel erhielten ebenfalls den Ausstiegsplan. Setton ist optimistisch, dass auch in den Ministerien der Wiederhall positiv sein wird. "Das ist eine gute Maßnahme, die die Energiewende nach vorne bringt, und wir bauen darauf, dass viele kluge Leute in der Regierung das auch so sehen."
Mit Aktionsprogramm will Bundesregierung Emissionen stärker senken
Die Zunahme der Kohleverstromung betrachtet inzwischen auch die Regierung mit Sorge. "Ohne zusätzliche Anstrengungen werden wir das Klimaziel verfehlen", betont Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Nach Plänen der Bundesregierung soll der Treibhausgasausstoß in Deutschland von derzeit 951 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr um 202 Millionen auf 749 Millionen Tonnen im Jahr 2020 sinken. Dies entspricht einer Emissionsminderung gegenüber heute von 21 Prozent.
Mit einem Aktionsprogramm will das Umweltministerium die Reduktionsziele noch erreichen. Als wichtigste Handlungsfelder sieht Umweltministerin Hendricks die Reparatur und Reform des europäischen Emissionshandels und den Umbau der Energiewirtschaft. Aber auch bei der Effizienzsteigerung im Gebäude- und Verkehrssektor sieht Hendricks noch viel Einsparpotential. Derzeit beraten die Ministerien die Vorschläge zur Emissionsminderung, für November ist ein Kabinettsbeschluss geplant.
Kohleausstieg im Vergleich leicht umsetzbar
Würde der BUND-Vorschlag umgesetzt und 24 alte Braunkohlekraftwerke vom Netz genommen, könnte Deutschland über 80 Millionen Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr sparen. Rund 40 Prozent des angestrebten Reduktionsziels würden mit dieser Maßnahme bis 2020 erreicht.
Vorteile hätte der Braunkohleausstieg aber auch für die Volkswirtschaft. Nach Angaben des Bundesumweltamtes (UBA) entstehen bei der Braunkohleverstromung erhebliche Gesundheits- und Umweltschäden, die von den Kraftwerksbetreibern bisher nicht bezahlt werden. Nach Berechnungen des UBA liegen diese Schäden bei über 41 Milliarden Euro pro Jahr. Umgelegt auf die erzeugte Strommenge beträgt damit die Schadenssumme 11 Cent pro kWh.
Energieexperten zeigen sich überzeugt, dass zur Erreichung der deutschen Klimaziele ein Ausstieg aus der Kohleverstromung notwendig und im Vergleich zu anderen Maßnahmen auch relativ leicht umsetzbar ist. Lediglich "muss man das Festhalten an den alten Strukturen überwinden", so Setton.
Langfristiger Braun- und Steinkohleausstieg bis 2030 möglich
Nach Einschätzung von Patrick Graichen, Direktor der Berliner Denkfabrik Agora Energiewende, hat die Politik ein Ausstiegszenario für die Kohlekraft bisher "noch nicht auf dem Schirm, aber ich bin zuversichtlich, dass dies in den nächsten Jahren so kommen wird", so Graichen gegenüber der DW.
Nach Auffassung des BUND ist nach der Braunkohle auch der Ausstieg aus der Steinkohle bis 2030 in Deutschland möglich, wenn der politische Wille dafür gegeben ist. Der Umweltverband regt an, dass - wie beim Atomausstieg - eine Kommission eingesetzt wird, die den gesellschaftlichen Konsens vorbereitet und alle Aspekte des langfristigen Kohleausstiegs breit diskutiert.