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Klimawandel lässt das Eis schmelzen

Irene Quaile6. Dezember 2012

Das Polareis ist in den letzten 20 Jahren schneller geschmolzen als in den 10.000 Jahren davor. Eine ausführliche Satellitenstudie bestätigt: Die schmelzenden Eisschilde lassen den Meeresspiegel schneller steigen.

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Grönländische Eisschilde (Copyright: Ian Joughin, University of Washington)
Grönland schmilzt schnellerBild: Ian Joughin/University of Washington

"Kühlanlage der Erde", "Wetterküche des Planeten", "Barometer des Klimasystems" – die Polarregionen sind als wichtige Treiber des Weltklimas bekannt. Schmilzt deren "ewiges Eis" zunehmend, ist auch der Rest der Erde betroffen. Der Meeresspiegel steigt, dunklere Schmelzwasserflächen absorbieren Wärme, die sonst vom weißen Eis ins All zurück reflektiert würde. Süßwasser fließt ins Meer und verändert Strömungsverhältnisse und Lebensbedingungen für die Organismen im Wasser.

Seit zwanzig Jahren untersuchen Satelliten die größten Eisschilde der Erde auf Grönland und in der Antarktis mit unterschiedlichen Techniken, von Radar- bis hin zu Erdgravitationsfeldmessungen. In der Vergangenheit führte die unkoordinierte Veröffentlichung einzelner Messergebnisse oft zu Verwirrung, vor allem über den Zustand des antarktischen Eisschildes. Eine neue, von der NASA und der Europäischen Weltraumagentur ESA, unterstützte Studie kombiniert die Daten von unterschiedlichen Satellitenmissionen.

Antarktishalbinsel. (Copyright: Hamish Pritchard/BAS)
Die Antarktis ist für Forscherteams schwer zugänglichBild: Hamish Pritchard/BAS

"Es ist das erste Mal, dass all die Experten, die in den letzten zwanzig Jahren die Veränderungen der Eisschilde auf Grönland und in der Antarktis mit unterschiedlichen Satellitentechniken überwachen, ihre Daten zusammengeführt haben, um ein Ergebnis zu bekommen", erklärte Professor Andrew Shepherd von der britischen Universität Leeds, einer der beiden Koordinatoren der Studie, im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Satellitenaufzeichnungen geben Gewissheit

"Mit diesem Datensatz können wir sagen, dass die Antarktis in den letzten 20 Jahren an Eis verloren hat. Das war vorher nicht klar. Wenn wir das Gesamtbild nehmen, können wir auch sehen, dass die Geschwindigkeit des Eisverlustes von den Polarregionen in den letzen 20 Jahren definitiv zugenommen hat. Heute tragen die Antarktis und Grönland zusammen dreimal so viel Eis zum Meeresspiegel bei wie vor 20 Jahren", so der Experte.

Nach der Studie war schmelzendes Eis von beiden Polarregionen seit 1992 für ein Fünftel des globalen Meeresspiegelanstiegs, also rund elf Millimeter, verantwortlich. Der Rest ist auf die thermische Ausdehnung des wärmeren Ozeans, sowie das Schmelzen von Berggletschern und kleineren arktischen Eiskappen zurückzuführen.

Grönland schmilzt am schnellsten

Dabei verläuft die Eisentwicklung in Arktis und Antarktis unterschiedlich: Rund zwei Drittel des Eisverlustes betrifft Grönland. Hier sei die Geschwindigkeit des Eisverlustes fast fünfmal stärker als Mitte der 1990er Jahre, erklärt Erik Ivins, Projektkoordinator bei der NASA. Obwohl der Grönland-Eisschild nur ungefähr ein Zehntel der Größe der Antarktis hat, trägt er zweimal so viel Eis zum globalen Meeresspiegel bei wie die Antarktis, ergänzt sein britischer Kollege Shepherd. Das hänge vor allem mit dem Breitengrad zusammen. Grönland liege weiter weg vom Nordpol als die Antarktis vom Südpol. Auf Grönland schmelze das Eis aufgrund höherer Lufttemperaturen auch an der Oberfläche.

Satellitenbilder der Eisschmelze auf Grönland (REUTERS/NASA/Handout)
Satellitenbilder verfolgen die Eisschmelze, wie hier auf GrönlandBild: Reuters

Antarktis ist nicht gleich Antarktis

In der Antarktis ist die Situation komplizierter. Wissenschaftler unterscheiden zwischen der Westantarktis und der Ostantarktis, die unterschiedlich vom Klimawandel betroffen sind. Die Westantarktis, wie Grönland, verliert zunehmend schnell Eis. Hier befinden sich viele Gletscher am Meer, das sich erwärmt - da erwarte man einen schnelleren Eisverlust, so Shepherd.

Die belgische Antarktisstation Princess Elisabeth Antarctica (Copyright: International Polar Foundation***Pressebild nur für die aktuelle, themengebundene Berichterstattung***via Dr. Irene Quaile-Kersken)
Auf Antarktisstationen wie der belgischen Princess Elisabeth Antarctica untersuchen Forscher den Zustand des EisesBild: International Polar Foundation

In dem riesigen Gebiet der Ostantarktis ruht das Eis aber zum größten Teil oberhalb des Meeresniveaus. Die Lufttemperatur ist wesentlich niedriger, so dass da ein Abschmelzen des Eises aufgrund steigender Temperaturen nach Meinung der Experten nicht zu erwarten ist. Hier gewinnt der Eisschild durch erhöhten Schneefall an Masse. Das hat bei manchen Kritikern dazu geführt, dass sie die These der globalen Erwärmung in Frage stellen. Für Shepherd und seine Kollegen ist die Erklärung aber durchaus im fortschreitenden Klimawandel zu finden. In einem wärmeren Klima verdünste mehr Wasser aus den Meeren, was zu erhöhten Niederschlägen führe – über dem Land als Regen, über dem Eisschild als Schnee. So erwarte man, dass der ostantarktische Eisschild noch weiter wachsen werde.

20 Jahre Satellitenmessung – ein kurzes Intermezzo?

Zwanzig Jahre sind bekanntlich ein sehr kurzer Zeitraum, um Schlüsse über Veränderungen des Klimas zu ziehen. "Wir sind gerade am Anfang einer Beobachtungsserie für Eis", sagt Ian Joughin, Co-Autor der Studie und Glaziologe an der Universität Washington. "Die Datenserie wird weiter an Bedeutung zunehmen, wenn neue Messungen dazu kommen."

Eisberg im Ilullissat-Eisfjord, Grönland (Bild: Irene Quaile)
Wenn der Grönlandeisschild vollkommen schmelzen würde, könnte der Meeresspiegel um sieben Meter steigenBild: DW/Irene Quaile

Aufgrund der schwer zugänglichen Lage der Regionen gibt es aber nach Meinung der Wissenschaftler kein besseres Werkzeug, als diese relativ neue Technologie, um die klimatischen Veränderungen der Eisschilde zu verfolgen.

Für die schnelle Eisschmelze an den Polen kann es keine andere Erklärung als die globale Erwärmung geben, betont Erdbeobachtungsexperte Shepherd. Das Abschmelzen des Eises in der Westantarktis beschreibt er als schnelles Signal und eine Konsequenz von direkten Veränderungen im lokalen Gleichgewicht zwischen Eisschild, Ozean und der Atmosphäre.

Falls der westantarktische Eisschild instabil werden sollte, könnte das nach Meinung der Wissenschaftler zu plötzlichen globalen Veränderungen führen. Joughlin sieht in dem Abbrechen von Gletschern in dieser Region in letzter Zeit Grund für Aufmerksamkeit, aber keine Panik.

Schlüsseldaten für den Weltklimarat

Im letzten Bericht des Weltklimarats (IPCC) fehlten Daten über die wahrscheinliche Entwicklung der Eisschilde, so dass Prognosen für den Anstieg des Meeresspiegels mit einer großen Unsicherheit und Ungenauigkeit behaftet waren. "Diese Ergebnisse werden für den Weltklimarat von unschätzbarem Wert sein bei der Erstellung des fünften Berichts im kommendem Jahr", sagt NASA Eis- und Schneeexperte Tom Wagner.

Die Frage, wie gut die nächsten Prognosen sein werden, sei schwer zu beantworten, gibt Projektkoordinator Shepherd zu. Die Zuverlässigkeit jedes Modells für die zukünftige Entwicklung des Klimas hänge vollkommen von der Richtigkeit der Daten ab, sagt Shepherd. "Wenn es uns gelungen ist, eine Eisverlust-Messung vorzulegen, die zwei- bis dreimal so genau ist, wie die Schätzungen in vorherigen Modellen - dann gibt es Grund zur Hoffnung, dass die Zuverlässigkeit der Prognosen auch zunehmen wird." Da gelte allerdings eine Einschränkung: Die Ungewissheit der Klimamodelle hänge zum großen Teil nicht mit den physikalischen Daten zusammen, sondern mit der Unsicherheit über die Emissionsszenarien, die die Länder der Welt umsetzen werden.