Zum Winterbier auf den Heiligen Berg
15. Januar 2019"An Guadn" wünscht der weißhaarige Herr am Tisch und an seinem bayrischen Dialekt wird klar: Seine Pilgerreise ist nicht allzu weit gewesen. Wie an fast allen Samstagen ist das "Bräustüberl" im Kloster proppenvoll. Norddeutsche gesellen sich zu Italienern, Ober- zu Niederbayern. Klar in der Mehrheit: die Münchner. Vom Marienplatz, dem Zentrum der bayerischen Landeshauptstadt, braucht die S-Bahn keine Stunde bis nach Herrsching am Ammersee, wo viele Wanderrouten auf den Heiligen Berg ihren Anfang nehmen.
Von Mäusen und Mönchen
Gut eine Stunde dauert der Fußweg, es geht bergauf und bergab. Das letzte Stück ist das steilste. Dafür aber endet es direkt vor der ab 1423 erbauten Wallfahrtskirche. Ich trete ein und stehe im prächtigen Rokoko. In der Mitte glänzt zweigeschossig der vergoldete Altar mit seinen Marienfiguren.
Wer die Augen von der goldenen Pracht löst und nach unten blickt, kann am Fuß des Altars ein erstaunliches Detail entdecken: Aus einem Spalt in der untersten Stufe lugt eine Maus hervor.
Ihr hat man hier ein Denkmal gesetzt, denn im Jahre 1388 soll sie die weitgehend zerstörte Burg vor der Bedeutungslosigkeit bewahrt haben. Der Legende zufolge erschien die Maus während der Heiligen Messe mit einem Zettel in der ehemaligen Burgkapelle. Von dem Papier überrascht machte man sich auf die Suche nach dem längst verloren geglaubten Reliquienschatz, dessen wertvollste Stücke Graf Rasso einst aus dem Heiligen Land mitgebracht hatte - und wurde fündig.
Heute werden die Reliquien hinter der dicken Eisentür der "Heiligen Kapelle" verwahrt. Bei Führungen können sie besichtigt werden.
Deutschlands größte ordensgeführte Klosterbrauerei
Die meisten Andechs-Besucher kommen nicht als Pilger, nicht wegen der "Heiligen drei Hostien" und auch nicht, um die Mönche zu besuchen, die noch immer hier leben. Sie kommen als Touristen zur Besichtigung und nicht zuletzt zur Verkostung des berühmten Bieres, das seit dem Mittelalter im Kloster gebraut wird. Mehr als 100.000 Hektoliter sind es im Jahr. Verkauft wird es in Deutschland und weltweit, vom Winterbier mal abgesehen. Was produziert und wohin geliefert wird, entscheidet der Konvent. Das Brauen und die Bewirtung der Gäste überlassen die Mönche dagegen kundigen Mitarbeitern.
Bayerische Gastlichkeit mit Tradition
Wer an den Wochenenden im Bräustüberl sitzen will, muss die bayerische Geselligkeit auf die Probe stellen. "Verzeihung, ist hier noch frei?" Ein kurzes Nicken, ich bin geduldet. So wuchte ich das Tablett auf den Holztisch und schiebe mich selbst auf die Bierbank. Eine Maß Winterbier, eine Haxe - das wiegt schwer. Selbst ist der Gast, heißt es im Bräustüberl. Wenn im Sommer die üppigen Außenterrassen genutzt werden, bietet es fast 2000 Gästen Platz. Tonnen an Würsten und Haxen werden hier bewegt, von den vollen Maßkrügen gar nicht zu reden.
Ob Weißbier, Helles oder Dunkler Bock - der Gerstensaft wird über ein Rohrsystem direkt in die Tanks des Bräustüberls gepumpt und reichlich an die Gäste ausgeschenkt. Das können schnell einige tausend Liter pro Tag werden. Zur Erinnerung kann man einen Probierkasten mit nach Hause nehmen. Das Bier ist die wichtigste Einnahmequelle des Klosters.
Winterbier vom Aromen-Koch
Das würzig-weiche Winterbier kann man nicht in Flaschen mit nach Hause nehmen. Ausgeschenkt wird es "weltexklusiv" im Bräustüberl, und zwar nur zwischen dem 11. November und dem 19. März, also zwischen den katholischen Feiertagen Martini und Josefi.
"Bier soll nach Bier schmecken", erklärt Braumeister Alexander Reiss. Deshalb ist man dem bayerischem Reinheitsgebot von 1516 treu geblieben: Die Grundlagen für das kellertrübe Winterbier bilden neben Wasser, dunklem Malz und dem Aromahopfen aus der Hallertau vor allem Geduld und Erfahrung.
Reiss betont mit einem Lächeln, dass bei ihm im Sudhaus noch richtig gekocht wird, traditionell im Mehrfach-Maischverfahren. Dabei wird immer nur ein Teil der Maische, also des Gemischs aus Malzschrot und Wasser, in die Maischpfanne geleitet, dort gekocht, und schließlich in den Maischbottich zurückgeführt. Diesen Vorgang wiederholt man mehrfach, was letztlich dem malzigen Geschmack des Bieres zugutekommt. Die Reifezeit beträgt rund sechs Wochen, dann kann das Winterbier im Bräustüberl genossen werden - unfiltriert und frisch aus der Herstellung. Es ist nicht nur besonders weich am Gaumen, sondern mit einem Alkoholgehalt von knapp über vier Prozent auch relativ mild. Zum Vergleich: Ein dunkler Andechser Doppelbock springt locker über die 7-Prozent-Marke.
Zeit für den Heimweg
Wirklich "versacken" kann man im Bräustüberl übrigens nicht, um 20 Uhr schließen die Pforten. Die meisten Besucher befinden sich dann ohnehin schon auf dem Heimweg, denn der will zu Fuß, mit Haxen und Bier im Bauch erst einmal bewältigt sein. Ein Grund für die frühe Schließzeit ist aber auch das klösterliche Leben der Benediktinermönche, das nicht über Gebühr beeinträchtigt werden soll. 20 Uhr, da ist das Nachtgebet schon halb gesprochen und das Morgenlob am nächsten Tag nicht mehr fern. Es beginnt um 7 Uhr: "Ora et labora" - bete und arbeite. Zum Kloster der Benediktiner führen viele Wege, zu Gott führt die Mönche nur dieser eine.