Der letzte Lützerather und die Kohle
11. Januar 2022Für die Klimaschutzbewegung ist er jetzt schon eine Ikone und ein Held, für den Energieriesen RWE ein denkbar unangenehmer Gegner und ein Problem, für die Medien ist sein schillernder Fall die Neuauflage des ungleichen Kampfes von David gegen Goliath. Eckardt Heukamp, 57 Jahre, Landwirt in vierter Generation, will seinen Bauernhof in Sichtweite der Bagger vom Tagebau Garzweiler nicht verkaufen. Er sagt: "Ich will hier leben, das ist meine Heimat."
Vor 16 Jahren begann RWE, die Höfe und Häuser in Lützerath abzureißen und die Bewohner zu entschädigen, um dort, im Westen des Landes in Nordrhein-Westfalen, künftig Braunkohle abzubauen. Die meisten Lützerather fanden einige Kilometer weiter westlich ein neues Zuhause. Ende 2020 waren noch 14 Bewohner übrig, jetzt ist Heukamp der Letzte in der Geisterstadt, der sich mit allen Mitteln gegen die Umsiedlung wehrt. Das Oberverwaltungsgericht Münster wird in diesen Wochen über die Klage Heukamps gegen die Enteignung entscheiden.
Heukamps Kampf gegen RWE wird zum Politikum
Doch mittlerweile geht es in Lützerath um viel mehr als um den Abriss des 1763 errichteten Hofes. Heukamps Geschichte ist längst ein Politikum geworden, es dreht sich um die ganz große Frage hierzulande: Wie ernst meint es Deutschland wirklich mit dem Kohleausstieg? Denn wenn die neue Bundesregierung wirklich schon 2030 statt erst acht Jahre später aus der Kohle raus will, wieviel Sinn ergibt es dann noch, ausgerechnet Heukamps Hof abzubauen, auch wenn dies gesetzlich bislang so festgelegt ist?
Heukamp, der den Grabstein seiner Vorfahren vom Friedhof des bereits abgerissenen Nachbardorfes gerettet hat, beruft sich auf ein Gutachten, dass die riesigen Bagger auch um Lützerath herumgraben könnten. "Technisch ist das für RWE machbar, aber wirtschaftlich wahrscheinlich nicht so interessant." Und dann ist da ja noch die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Lützerath, so die Experten, müsste eigentlich stehen bleiben, wenn Deutschland das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens erfüllen will.
"Wir haben nicht die gleiche Situation wie vor 30 Jahren, wo die Kohle nicht zu ersetzen war, weil es noch keine erneuerbaren Energien gab", sagt Heukamp. "Was macht es für einen Sinn, Menschen zu enteignen, Dörfer abzureißen und eine höhere CO2-Belastung in Kauf zu nehmen, obwohl wir alle wissen, dass das angesichts der Alternativen nicht mehr akzeptabel ist?"
Der Landwirt will bis zum letzten Tag auf seinem Hof bleiben
Warum also, fragt sich der Landwirt, soll er aus Lützerath weg? Etwa ein neues Leben in Brandenburg anfangen, wo RWE ihm einen Hof zur Kompensation angeboten hat? "Da bin ich ein Fremder, und wegen der Trockenheit dort haben Sie keine Erträge mehr. Man bekommt dann zwar mehr Hektar, aber mit einem deutlich schlechteren Boden." Keine der Offerten des Energieriesen sei für ihn akzeptabel gewesen, kritisiert Heukamp, auch deswegen will er lieber weiter wie all die Jahre Getreide in Lützerath anbauen. "Wieso sollte ich mich schlechter stellen, als ich bisher hier gelebt und gewirtschaftet habe?"
In den deutschen Zeitungen läuft seine Geschichte rauf und runter, es ist die klassische Story eines Nobodys, der sich in einem scheinbar aussichtslosen Kampf mit einem mächtigen Konzern anlegt. Dabei taugt Heukamp nicht zum Medienstar, ist mittlerweile ein wenig genervt von dem ganzen Rummel.
Wie er mit dem ganzen Druck fertig wird? Natürlich, sagt der Landwirt, gehe das alles nicht spurlos an ihm vorbei, oftmals habe er schlaflose Nächte bei dem Gedanken, was aus seinem Hof wird. "Es wäre Quatsch zu sagen, dass das für mich keine Belastung ist. Aber ich habe damit angefangen und jetzt ziehe ich es auch durch. Bis sie mich hier heraustragen!"
Lützerath neues Zentrum der Klimaschutzbewegung
Eckardt Heukamp kämpft allerdings längst nicht mehr allein. Lützerath ist nach dem Hambacher Forst der neue Wallfahrtsort für die Klimaschutzbewegung geworden. Auf seinem Gelände tummeln sich Dutzende junger Aktivisten. Heukamps Hof ziert ein riesiges gelbes Plakat mit der Aufschrift "1,5 Grad heißt: Lützerath bleibt" und selbst gezimmerte Baumhäuser mit bunten Anti-Kohle-Plakaten ragen wie riesige Nester auf den Wipfeln. Sogar Greta Thunberg war im September hier.
"Die Zeit arbeitet für uns, je länger wir hier sind, desto sicherer sind wir, dass wir auch länger bleiben können. Jeden einzelnen Tag steigt die Hoffnung, dass Lützerath erhalten bleibt", sagt Dirk.
Der 35-Jährige postiert dick vermummt in der Kälte vor der Mahnwache, er hat sie vor anderthalb Jahren mit zehn Mitstreitern aus dem Boden gestampft. "Alle Dörfer bleiben" heißt das Aktionsbündnis, das auch Spendengelder für Heukamps Gerichtskosten eintreibt. Was die ungleichen Partner zusammenschweißt, ist der gleiche Gegner, RWE. "Anfangs hat Ecki noch über uns gedacht: 'Was sind das denn für Leute?'", sagt Dirk mit einem Lachen, "aber wir haben ihm klar gemacht, dass wir für ihn da sind und er nicht allein ist."
Abrisskante des Tagebaus nur einen Steinwurf von Lützerath entfernt
"Eckardt, der Letzte" heißt das Gedicht, welches die Aktivisten dem Landwirt gewidmet haben. Der bedankt sich auf seine Art, gibt Menschen wie Dirk einen Unterschlupf mit Heizung auf seinem Hof, wo früher die Saisonarbeiter untergebracht waren. Dirk, ein Aktivist der ersten Stunde für den Erhalt Lützeraths, der seinen Job in der Lebensmittelindustrie für den Kampf gegen den Klimawandel geschmissen hat, muss nur die Nebenkosten berappen.
Es ist ein unwirkliches Szenario: das weiße Zelt der Mahnwache ist nur einen Steinwurf von der Abrisskante mit den gigantischen Baggern entfernt, die sich immer näher an die Überbleibsel von Lützerath heranfressen. "Die Kante nähert sich Stück für Stück, die Bagger liefen lange Zeit Tag und Nacht", sagt Dirk, "aber ich bleibe bis zum letzten Tag hier, weil ich mich der Sache verpflichtet fühle, um eine Zukunft zu haben."
Energieunternehmen RWE pocht auf sein Recht
Wird Lützerath für RWE tatsächlich zu einem zweiten Hambacher Forst, wie die Aktivisten hoffen? Vor zwei Jahren hatte die Bundesregierung mit der Entscheidung zum Kohleausstieg den Erhalt des Waldstücks beschlossen, vorausgegangen waren jahrelange massive Proteste der Klimaschutzbewegung. Doch der Deal damals lautete: der Hambacher Forst darf bleiben, dafür darf RWE in Rheinischen Braunkohlerevier Braunkohle fördern. Es geht um 900 Millionen Tonnen. Und viel Geld.
"Die aktuelle Leitentscheidung der NRW-Landesregierung vom März sieht dabei sogar ausdrücklich vor, zunächst in diesem südlichen Teil des Abbaugebietes zu baggern", schreibt RWE-Pressesprecher Guido Steffen auf DW-Anfrage, "Lützerath wird bis Ende 2022 durch den Tagebau Garzweiler bergbaulich in Anspruch genommen." Mit Eckardt Heukamp "bemühen wir uns weiterhin um eine einvernehmliche Lösung", so Steffen.
Neue Rechtslage wegen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes?
Wer in einem Rechtsstreit um Klimaschutz in Deutschland das Unmögliche möglich machen will, so wie Heukamp, der muss Roda Verheyen engagieren. Die Anwältin vertritt auch den peruanischen Kleinbauern Saúl Luciano Lliuya, der wegen des Klimawandels in seiner Heimat RWE auf Entschädigungszahlungen verklagt.
Ihr größter Erfolg war das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gegen die Bundesregierung vom 29. April 2021, für den Klimaschutz Vorsorge zu treffen und die Zukunft der Jüngeren zu schützen. Und genau deswegen, ist sich die Juristin aus Hamburg sicher, werden die Karten beim Fall Lützerath neu gemischt.
"Vor dem Hintergrund ist ein Kohleausstieg 2030, 2035 oder 2038 völlig illusorisch. Wir müssen schnell aus der Kohle aussteigen, um die Verteilung der Emissionen, die das Bundesverfassungsgericht fordert, auch zu realisieren", sagt Verheyen. "Karlsruhe hat dem zugestimmt, dass das, was wir seit Jahrzehnten mit dem Kohleabbau tun, nicht dem Wohl der Allgemeinheit entspricht, jede weitere Tonne dagegen die zukünftige Generation belastet."
Verheyen und ihrem Mandanten bleibt noch der Gang zum Bundesverfassungsgericht, sollte das Oberverwaltungsgericht Münster gegen ihre Beschwerde zur Enteignung entscheiden. Es ist die bittere Pointe der Geschichte von Eckardt Heukamp: Am Ende wird der Kampf des Landwirtes um seinen Hof von der Justiz bestimmt und nicht, wie es das Karlsruher Urteil eigentlich vorschreibt, von der Politik. Die duckt sich stattdessen lieber weg, im Koalitionsvertrag von SPD, den Grünen und der FDP heißt es auf Seite 59: "Über Lützerath werden die Gerichte entscheiden."