Berlin, pass auf dich auf!
1. Januar 2017In guten Zeiten hält man zum Jahreswechsel inne, schaut dankbar zurück und fasst Vorsätze. Doch leben wir in guten Zeiten? Die letzten Tage und Wochen gehen mir nicht aus dem Kopf: Wie nie zuvor bestimmt Gewalt die Schlagzeilen in der Hauptstadt. Etwa der Versuch von sieben Halbstarken, einen Obdachlosen bei lebendigem Leib anzuzünden. In welcher Stadt lebe ich, in der so etwas passiert?
Als ich noch in Washington wohnte, gab es auch schlimme Verbrechen. Aber von so einer menschenverachtenden Tat habe ich nichts gehört. Gottseidank wurde der Mann in Berlin gerettet und die Täter inzwischen gefasst. Es sind Flüchtlinge im Alter von 15-21, sechs Syrer und ein Libyer.
Ach Berlin, was für ein Jahr!
Zuvor schon hatte mich der sogenannte U-Bahn-Treter schockiert, der aus dem Nichts heraus eine junge Frau in den Rücken getreten und die Treppe hinunter gestürzt hatte. Und dann der schreckliche Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, der eine neue Dimension von Gewalt und Terror in die Stadt gebracht hat.
Auch zum Jahreswechsel spüre ich noch die Schockwellen. Ich bewundere, wie ruhig und unaufgeregt die Berliner auf dieses schwere Attentat reagieren. Und dass sie jetzt der Angst trotzen und das neue Jahr wieder zu Tausenden vor dem Brandenburger Tor feiern - das spricht für ihren Mut.
Andere Regionen habe es schlimmer getroffen, sagt mir die Verkäuferin in der Bäckerei - und meint Paris, Nizza und Brüssel. Das mag ich an den Berlinern: Wenn es hart auf hart kommt, dann halten sie viel aus, nehmen sich selbst nicht zu wichtig, sind stark - und cool. Und ich muss an die lange und leidvolle Geschichte von Teilung, Mauer und Tod denken, die Berlin und seine Bürger krisenfest gemacht hat.
Berlin, wie wird das neue Jahr?
Hoffentlich wird das neue besser als das alte Jahr! Sorgen um die innere Sicherheit wird Bürger wie Politiker auch 2017 umtreiben. Nicht nur Kanzlerin Merkel und Innenminister de Maiziere, sondern auch das Land Berlin und seinen neuen Senat aus SPD, Grünen und Linkspartei. Der Berliner Senat hat sich dem Ruf nach mehr Video-Überwachung bis vor kurzem noch widersetzt. Das war töricht, denn die jüngsten Festnahmen gab es aufgrund von Videos. Doch der Regierende Bürgermeister Müller machte jetzt eine abrupte Kehrtwende und ist nun für mehr Überwachung. Mit dem für Anfang Januar angekündigten "Sicherheitspaket" können dann auch Müllers linke Kritiker in der SPD und seine Koalitionspartner beweisen, ob sie in der Realität angekommen sind.
Sicherheit ist in Berlin im Moment das alles beherrschende Thema, auch mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl im September 2017. Da geht es nicht nur darum, wie wir ganz real auf den vielen Wahlkundgebungen geschützt werden. Es geht auch um Gefahrenabwehr im Netz, um Cyber-Security. Wie kann verhindert werden, dass Putins Russland über Hacker-Angriffe und Fake-News Einfluss auf den Wahlausgang nimmt, wie das offenbar in den USA gelungen ist?
Darüber zerbrechen sich hier in Berlin Politiker und Journalisten den Kopf (siehe Artikelbild: der Autor (re) mit Julian Reichelt (Bildmitte), Chefredakteur von Bild.de). Warnungen hatte es viele gegeben, doch erst nach der US-Wahl ist die deutsche Bundesregierung aufgewacht. Ich befürchte, dass dies zu spät kommt. Auch wenn die Cyber-Abwehr schneller aufzubauen ist als eine Panzerarmee: Langjährige Versäumnisse müssen erst mal aufgeholt werden.
Viele "Normalo-Berliner" drückt der Schuh aber nicht bei dem Thema Cyber-Security, sondern bei sozialer Sicherheit. Bezahlbare Wohnungen, gute Arbeitsplätze und die Integration der Flüchtlinge sind die Aufreger-Themen. Und die Spaltung der Stadt, wie sie die Senatswahlen im letzten Jahr sichtbar machten. Linke und vor allem AfD gewannen zweistellig in den ärmeren Randbezirken, die von der Stadtpolitik konstant vernachlässigt werden. Hier muss die Mannschaft des Regierenden Bürgermeister Müller bald gegensteuern.
Berlin, das wünsche ich Dir für 2017!
Das Leben geht weiter, aber vielleicht nicht mehr so unbeschwert wie vorher. Berlin, pass auf dich auf! Sei wachsam, aber bleib so, wie Du warst, trotz aller Bedrohungen: Mitfühlend, lebenslustig und bewahre Deinen kühlen Kopf. Es wäre ja noch schöner, wenn die Berliner Luft ihren besonderen Duft verlieren würde.