Kolumne: Neustart für die Kulturmetropole Berlin
8. Januar 2017Oh je, das kratzt am Ego! Die Welt spricht nicht über Berlin, sondern über Hamburg. Nicht die Berliner Philharmonie, sondern die neue Elbphilharmonie gilt plötzlich als das Mekka der Musik. Dabei fühlt man sich an der Spree doch als Nabel der Musik- und Kulturwelt, verweist auf drei Opernhäuser, sechs Sinfonieorchester, fünf große Sprechbühnen, eine einzigartige Museumslandschaft, unzählige Galerien, eine quirlige freie Szene und die hippsten Clubs.
Vieles davon ist getragen von üppigen Subventionen. In dieser Hinsicht ist Berlin - unbestritten - Weltspitze. Kunst und Leben wuchern in Berlin von selbst: bunt, schrill, spannend, immer eine Reise wert - auch aus New York, von wo man längst neidvoll nach Berlin schaut. Doch Berlin könnte mehr. Und es muss auch mehr tun, um künftig angesagt zu bleiben.
Hamburgs Elbphilharmonie als Vorbild
Hamburg hat gezeigt, wie weit man mit einer Vision und einem großen Kraftakt kommt. Die Elbphilharmonie, der ikonische Musiktempel, strahlt weit über die Elbmetropole hinaus und ab sofort wird Hamburg als Kunststadt in einer anderen Liga spielen.
Berlin ist deswegen nicht abgemeldet. Berlin brummt. Berlin beeindruckt. Aber außer gut gefüllten Subventionstöpfen, zu denen der Bund viel zuschießt, trägt die Kulturpolitik wenig bei.
2017 könnte alles anders werden. Es ist das Jahr der großen Chancen. Neuanfänge wohin man sieht: ein neuer Senat, ein neuer Kultursenator. Zwei der fünf großen Sprechbühnen, Volksbühne (siehe Artikelbild) und Berliner Ensemble, bekommen neue Intendanten, zwei Sinfonieorchester erhalten neue Chefdirigenten, die Berliner Philharmoniker eine neue Intendantin und Daniel Barenboims Staatsoper kehrt nach kostspieliger Sanierung ins Heimathaus zurück, direkt neben die neu eröffnete Barenboim-Said Akademie für Studenten aus dem Nahen Osten.
Berlin muss Kultur gestalten, nicht nur verwalten
Das sind überfällige Umbrüche in einer Stadt, die unglaublich strukturkonservativ ist und sich damit absolut blockiert. Beispiel Volksbühne: An dieser linken Traditionsbühne am Rosa-Luxemburg Platz herrscht Intendant Frank Castorf bereits 25 Jahre lang. Erst jetzt wird er - unter großen Protesten - vom Belgier Chris Dercon abgelöst, der zur Zeit noch Chef der Londoner Tate Gallery of Modern Art ist.
Castorfs Intendanz ist bald doppelt so lang wie die Amtszeit Helmut Kohls, den viele als den ewigen Kanzler verspotteten. Erbhöfe in der Kunst? Das ist wider ihre kreative, sich ständig erneuernde Natur. Doch in Berlin haben Erbhöfe Konjunktur. Neben Castorf ist es Claus Peymann, der das Berliner Ensemble erst nach 17 Jahren verlassen muss. Und auch Daniel Barenboim ist seit 1992 an der Staatsoper. Ende offen. Kein Zweifel: Alle sind sie Ausnahmekünstler. Doch selbst bei Supermännern erlahmt irgendwann die Erneuerungs-Dynamik.
Hier müsste die Kulturpolitik führen. Aber das Forum Zukunft Kultur, eine der Berliner Kultur-Denkfabriken, hat es treffend formuliert: Kultur wird in Berlin verwaltet, nicht gestaltet. Der Koalitionsvertrag des neuen rot-rot-grünen Senats macht da keine Ausnahme. Im zehnseitigen Kulturteil herrscht das ermüdende Prinzip 'Wünsch dir was - und von jedem ein bisschen mehr'. Klaus Lederer von den Linken ist der neue Kultursenator. Dass er kein Kulturpolitiker ist - nun ja, es hätte schlimmer kommen können.
Eine Chance für den neuen Berliner Kultursenator
Lederer hat jetzt die Chance, sich auf die Seite der Erneurer zu stellen. Er darf die umstrittenste Berliner Kulturpersonalie, die Ernennung Chris Dercons zum Intendanten der Volksbühne, nicht länger mit spitzen Fingern anfassen. Nach einigen Irritationen treffen sich die beiden Männer nächste Woche. Dercons Ernennung hat in Berlin eine Art Kulturkampf ausgelöst. Noch bevor Pläne bekannt wurden, stand der Vorwurf der Event-Buden-Beliebigkeit im Raum. Geben wir Dercon eine Chance! Nicht seine Ernennung durch den Vorgängersenat ist der Fehler, sondern Castorfs lange Intendanz. Lederer sollte bei Belegschaft, Publikum und Kulturestablishment dafür werben, sich auf Neues, Anderes einzulassen.
Und das wäre dann erst der Anfang. Wie wäre es mit einem Musikfest Berlin, das seinen Namen verdient und die besten Musiker nach Berlin bringt? Oder wie wäre es, die voreilig beerdigte Berliner Kunstmesse neu zu beleben und international zu positionieren? Oder Kultursubventionen aus der verwöhnten Mitte in die vernachlässigten Randbezirke umzuleiten, um die Spaltung Berlins wenigstens kulturell zu mildern?
Berlins kulturelles Potential ist längst nicht ausgeschöpft. Vor allem nicht das Potential für Erneuerung!