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Kolumne: Keine "Mohrenstraße" in Berlin

Gero Schließ
16. Juli 2017

Afrikanische Vereine wollen Berliner Straßen umbenennen, die mit deutschen Kolonialverbrechen verbunden sind. Höchste Zeit, den Nachfahren der Opfer Respekt zu zollen, meint unser Kolumnist Gero Schließ.

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Berlin Kolonialgeschichte Afrika
Bild: Imago/IPON

"Mohrenstraße: Wegen Rassismus geschlossen". Nanu, ich bin schon dutzende Male durch die Mohrenstraße gefahren. Sie ist eine belebte Straße in Berlin-Mitte, nahe dem prachtvollen Gendarmenmarkt. Nie habe ich an Rassismus gedacht. Und jetzt finde ich dieses Foto auf der Internetseite des Bündnisses "Decolonize Berlin".

Mohrenstraße, ein rassistischer Begriff?

Straßenschild Mohrenstraße in Berlin
Die Mohrenstraße soll nach dem Willen der Nachfahren der afrikanischen Sklaven umbenannt werdenBild: Imago/S. Steinach

Es zeigt das Straßenschild "Mohrenstraße", durchgestrichen mit einem fetten roten Balken. Darunter dann der Rassismus-Vorwurf. Außerdem finde ich noch eine Einladung zu einem "Dritten Umbenennungsfest" am 23. August. Anders als sonst bei Festen wird hier wohl nicht der Alkoholpegel, sondern der Frustrationspegel steigen.

Schon klar: "Decolonize Berlin", ein Bündnis aus afrikanischen Vereinen und deutschen NGOs, protestiert gegen die Verwendung des Straßennamens "Mohrenstraße" und fordert einen neuen. Aber ist das Wort Mohr gleich rassistisch? Ich muss an Mozarts Zauberflöte und den Mohr Monostatos denken. Doch ich muss zugeben. Auch Mozart war nicht gerade ein "Mohrenfreund". Monostatos ist bei ihm Frauenschreck und lüsterner Raufbold. Macht das Mozart jetzt zum Rassisten? Und was ist mit dem Sarotti-Mohr auf der gleichnamigen Tafel Schokolade?

Ich beschließe, zu recherchieren. Und ich rede mit dem Historiker Christian Kopp, der für "Decolonize Berlin" die Kolonialvergangenheit erforscht. 

Baustelle des Berliner Stadtschlosses
Hier soll künftig auch die deutsche Kolonialgeschichte thematisiert werden: im Humboldt Forum in BerlinBild: picture-alliance/dpa/S. Kembowski

Bisher dachte ich, die deutsche Kolonialgeschichte hätte mit Kaiser Wilhelm II. begonnen und sei nach dessen krachender Weltkriegsniederlage beendet gewesen. Ein kurzes, unrühmliches Kapitel mit dem grausamen Völkermord an den Herero und Nama als absolutem Tiefpunkt. Welch ein Irrtum! 

Stellen Sie sich vor: Dort, wo heute Touristen die Straßen in Berlin-Mitte durchströmen, hatten im 18. Jahrhundert schwarze Sklaven ihre Unterkunft.

Der Große Kurfürst ein Sklavenhändler

Die Vorfahren des philosophierenden Feingeistes Friedrich des Großen verschleppten sie hierhin. Ja, es war der viel bewunderte Große Kurfürst, der mit seiner "Kolonialfestung" in Ghana und diversen Sklaven-Transfers in die Karibik Kasse machte. Und dann afrikanische "Mohren" als Musiker und Dienstboten in den Palästen des Berliner Adels zwangsverpflichtete. So sah also preußische Weltläufigkeit aus. 

Fast 300 Jahre danach ist das immer noch ein wohlgehütetes Geheimnis in Berlin. Überhaupt verdrängen die Deutschen die Kolonialzeit gerne, trotz politischer Wiedergutmachungs-Initiativen für Namibia und kultureller Großprojekte wie dem Humboldt Forum, dem künftigen Museum der Weltkulturen mitten in Berlin. Es ist ja so bequem: Böse und ausbeuterisch waren immer die anderen. Und wir Deutschen scheinen als ehemals kleine Kolonialmacht endlich mal die Guten zu sein. Soviel Ignoranz tut weh! Natürlich auch den hier lebenden Nachfahren der Sklaven, die sich durch die Fremdbezeichnung "Mohrenstraße" verhöhnt fühlen. Denn "Mohr", wohl die älteste deutsche Bezeichnung für schwarze Menschen, war früher gleichgesetzt mit "dummer, einfältiger Mensch".

Straßenschilder der Petersallee und des Nachtigalplatzes in Berlin
Im "Afrikanischen Viertel" von Berlin sollen auch die Petersallee und der Nachtigalplatz umbenannt werden Bild: Imago/Jürgen Ritter

Ich kann ihre Empörung gut verstehen. Anders die heutigen Anwohner der Mohrenstraße, die einen Verein gründeten und für die Beibehaltung des "Traditionsnamens" kämpfen. Sie tun fast so, als sei der Sklavenhandel die Manifestation der deutsch-afrikanischen Freundschaft.

Afrikanisches Viertel in Berlin  

Der Berliner Straßenkampf tobt nicht nur um die Mohrenstraße, sondern auch im Arbeiter-Kiez Wedding. Dort liegt - wie in gut 30 anderen deutschen Städten auch - das "Afrikanische Viertel". Es ist das größte Flächendenkmal deutscher Kolonialgeschichte. Und sollte als steingewordener Lorbeerkranz ursprünglich dem eroberungsversessenen Kaiser Wilhelm huldigen. Dumm nur, dass hier mindestens drei zwielichtige "Kolonialherren" mit Straßennamen geehrt werden. Immer noch! Darunter auch Carl Peters, der als "Hängepeters" gefürchtet war. Und von den Nazis dafür verehrt wurde.

Gero Schließ (Rechte: DW)
Fordert mehr Respekt für die Opfer und ihre Nachfahren: DW-Kolumnist Gero Schließ

Als seine Gewalt-Exzesse im heutigen Berlin dann doch die Runde machten, ordnete die Stadtregierung die Straße umgehend einem anderem Peters zu, Hans Peters, ein Berliner Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten. Der Weg des geringsten Widerstandes? Gut, dass sich die Afrika-Vereine dieser Berliner Un-Lösung verweigern. Anders als im Fall der Mohrenstraße setzten sie die Einberufung einer Jury durch, die jetzt neue Namen vorgeschlagen hat. Darunter Miriam Makeba und die namibische Freiheitskämpferin Anna Mungunda. Eine Herero-Frau, die 1959 ermordet wurde. Aber noch wehren sich einige Bürger. Auch Gerichte könnten angerufen werden.

Symbolische Reparation durch Straßennamen

Vielleicht schaut mal jemand auf den Kalender: Knapp 100 Jahre nach Ende des Kolonialreiches haben wir immer noch nicht zu einem anständigen Umgang mit den Opfern und ihren Nachfahren gefunden. Sicher, neue Straßennamen wären nur eine symbolische Reparation. Scheitert die aber auch, empfehle ich die Anfertigung eines etwas anderen Straßenschildes: "Afrikanisches Viertel - wegen Rassismus geschlossen."