Kolumne: Radfahren in Berlin
11. September 2016Auf dem Fahrrad lernt man die Berliner erst richtig kennen. Etwa so: Nach einer langen und kulinarisch ergiebigen Abendveranstaltung in der Italienischen Botschaft fuhr ich mit dem Fahrrad zurück nach Hause, hoch auf den Prenzlauerberg. Es war schon spät und die Fahrt war noch lang. Und so kam es, dass im Schutz der Dunkelheit so manche rote Ampel von mir unbeachtet blieb, um zumindest ein bisschen Feier-Zeit wieder einzuholen. Zum Ärger mancher Autofahrer, deren gereiztes mitternächtliches Gehupe mir jetzt noch in den Ohren dröhnt.
Unvergessen bleibt ein kurzer Wortwechsel, der sich dann an der Kreuzung Unter den Linden/Spandauer Straße kurz vor dem Alexanderplatz abspielte. Eine drahtige Frau mittleren Alters, offensichtlich eine geübte Berlin-Radlerin, stoppte vor der roten Ampel und rief herüber: "Ich habe zweimal gesehen, wie Sie über Rot gefahren sind und beinahe überfahren worden wären. Sind Sie betrunken oder lebensmüde?".
Damit hatte sie einen Nerv getroffen. Trotz einiger Gläser guten Chiantis wollte ich mir nicht die Blöße geben, als Trunkenbold in die Geschichte des Berliner Nachtverkehrs einzugehen. Ich wählte also das vermeintlich kleinere Übel und gab zurück: "Lebensmüde!". Worauf von ihrer Seite postwendend zurückkam: "Dann rufen Sie die Telefonseelsorge an". Dann trat sie fest in die Pedale und zog vorbei.
Orientierungslos mit Google Maps
Fahrradfahren in Berlin ist auch ohne Regelübertretungen ein Abenteuer, gerade wenn man die Stadt nicht gut kennt. Dabei sollte man Orientierungshilfen wie Google Maps nicht allzu sehr vertrauen. Vor allen Dingen nicht, wenn die Dunkelheit hereinbricht. Doch gerade der Neu-Berliner findet es erst einmal sehr hilfreich, diese App auf dem Handy zu nutzen.
Und Hand aufs Herz: Es klingt schon sehr beruhigend, wenn die monotone Googlestimme aus dem Handy den Weg weist. "Links abbiegen auf Scharounstraße", dringt es sonor aus der Tasche, in der das Handy steckt. Dann "rechts abbiegen auf Potsdamer Straße". Danach ein endloses Pingpongspiel von rechts abbiegen, links abbiegen, rechts abbiegen, das den Radfahrer schließlich in die tiefste Dunkelheit führt. Weit und breit kein Haus, keine Laterne, kein Licht, und dann droht auch noch der Handy-Akku zu kollabieren.
Das sollte meine erste Begegnung mit dem Park am Gleisdreieck werden. Ein neu angelegtes Vergnügungsareal mit Skaterbahnen und Spielplätzen, das nachts gespenstisch wirkt, doch tagsüber von einem Schwarm junger Menschen bevölkert wird. 17 Minuten hätte der Weg ins Bett laut Google Map dauern dürfen. In Wirklichkeit wurde es doppelt so lang - und die nächtliche Radtour hätte wegen des schlappen Handy-Akkus fast noch unter der Obdachlosen-Brücke geendet.
Zu wenig Platz für Fahrräder
Doch die Fahrradfahrer, die schon lange in Berlin leben, drückt der Schuh woanders. Fahrradfahren in Berlin ist ein ständiger Kampf - mit den Autofahrern. Es kommt einem so vor, als seien sie hier aggressiver und rechthaberischer als im Rest der Republik. Man schnauzt sich gegenseitig an, zeigt den Mittelfinger und wird auch schon mal handgreiflich.
Berlin ist für Fahrradfahrer ein gefährliches Pflaster geworden. Aber nicht nur wegen rüpelhafter Autofahrer. Leider auch wegen leichtsinniger Radler, wie dem Autor dieser Zeilen, in dem spätestens gegen Ende der Kolumne Reue aufsteigt.
Die Zahl der Fahrradfahrer hat sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelt. Auf vielen Straßen ist es zu eng geworden, was auch immer wieder zu lebensbedrohlichen Situationen führt. Ein Volksbegehren fordert jetzt mehr Fahrradwege. Über 100.000 Unterschriften sind zusammengekommen, fünfmal mehr als notwendig. Die Bewohner wollten einen sicheren Radverkehr ohne marode Wege und lebensgefährliche Kreuzungen. Dabei werden sie von den oppositionellen Grünen unterstützt, die mit der rot-schwarzen Stadtregierung schon lange um dieses Thema ringen. Die wiederum verweist auf die hohen Baukosten. Doch diskutiert wurde lange genug. Die Zeit drängt. Im letzten Jahr gab es in der Stadt 48 Verkehrstote. Zehn von ihnen waren Fahrradfahrer.