Kommandowechsel in Afghanistan
12. August 2003Mit der Warnung vor einem Rückfall Afghanistans in "Anarchie und Chaos“ hat Verteidigungsminister Peter Struck die Ausdehnung des Bundeswehreinsatzes in die unbefriedeten Provinzen des Landes gefordert. Andernfalls gelten die in zehn Monaten geplanten Wahlen, ein Meilenstein im Friedensprozess, als gefährdet. Nach sechs Monaten übergaben Deutschland und die Niederlande am Montag in Kabul das Kommando der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe (ISAF) an die NATO. Struck kündigte nach der Kommandoübergabe in der schwer bewachten deutschen Amani-Oberrealschule an, die Bundesregierung werde Ende August eine Entscheidung über den Einsatz eines deutschen Regionalen Wiederaufbauteams (PRT) aus Soldaten und zivilen Helfern in Kundus treffen. Zwischen 100 und 300 deutsche Soldaten könnten dort dann Dienst tun.
NATO in neuer Rolle
Mit dem Ende des deutschen Kommandos wird die Bundeswehr ihr ISAF- Kontingent von 2500 auf 1600 Soldaten verringern. Gleichwohl sind sie damit immer noch stärkster Truppensteller. Die Bitten der afghanischen Regierung nach einer massiven ISAF-Ausweitung schlugen die NATO und Struck hingegen erneut aus. Der bisherige ISAF-Kommandeur, der deutsche General Norbert van Heyst, warb eindringlich für ein stärkeres internationales Engagement über Kabul hinaus. Sein Nachfolger, der ebenfalls deutsche NATO-General Götz Gliemeroth, sagte, unter NATO-Führung solle die Kontinuität der ISAF gewährleistet sein, die aus knapp 5000 Soldaten aus 31 Ländern besteht. Für die Allianz ist das Kommando die erste Mission außerhalb Europas, ein Schritt weg von der defensiven Allianz des Kalten Krieges.
Diskussion in Deutschland
Der verteidigungspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Christian Schmidt, der Struck nach Kabul begleitete, äußerte seine grundsätzliche Unterstützung für ein deutsches Wiederaufbauteam in der afghanischen Region. Dies müsse aber „sauber politisch flankiert“ sein. Struck habe versprochen, vor einer Kabinettsentscheidung zunächst mit den Fraktionen zu reden. Der Bundestag muss der Ausweitung des Bundeswehr-Mandats zustimmen. Auch Grünen-Chefin Angelika Beer hat sich verhalten zu der geplanten Ausweitung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr geäußert. Eine Ausweitung erfordere ein klares Konzept zur Stabilisierung des Landes. Außerdem befürwortete sie eine weitere internationale Afghanistan-Konferenz, bei der auch die Provinzfürsten mit am Tisch sitzen müssten. Protest kam vor einigen Tagen bereits aus der FDP. Deren Generalsekretärin Cornelia Pieper kritisierte, das Parlament werde von der Bundesregierung übergangen.
Neue Rolle im Norden
In Kundus an der Grenze zu Tadschikistan ist bereits ein US-Team im Einsatz. Das PRT aus 40 Soldaten und zwei zivilen Helfern hat sich in einem Gehöft verschanzt und verlässt es zumeist nur zu Patrouillen. Das ist genau das, was die Deutschen nicht wollen. Sie wollen ihre Wiederaufbauarbeit sichtbar machen, nicht die Militärpräsenz. Kundus ist das Einflussgebiet des umstrittenen afghanischen Verteidigungsministers Mohammed Fahim, der sich immer noch die stärkste Privatarmee leistet und finanziell durch Drogengeschäfte abgesichert sein soll. Wegen einer Krankheit ließ er sich kürzlich in Deutschland behandeln, wo er auch Struck traf. Die Bundesregierung setzt trotz des zweifelhaften Rufs auf den Tadschiken, der als der eigentliche Strippenzieher in Afghanistan gilt. Fahim könnte „bei Konflikten hilfreich“ sein, sagte Struck. (dk)