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Politik

Bunte Bilder und die schwarze Flagge des IS

Weigand Florian Kommentarbild App
Florian Weigand
5. Mai 2019

Die Loya Dschirga zeigte kein einiges und vom Frieden beseeltes Afghanistan. Ohnehin könnte ein erstarkender IS im Osten des Landes alle Sehnsucht nach dem Ende des Krieges zunichte machen, meint Florian Weigand.

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Afghanistan Ratsversammlung Loja Dschirga in Kabul
Bild: Reuters/O. Sobhani

Die Bilder sollten Erinnerungen an frühere glanzvolle Loya Dschirgas wachrufen: In traditionellen Gewändern mit ausladenden Turbanen und bunt bestickten Käppchen eilen die Stammesführer aus allen Ecken Afghanistans in Kabul zusammen, um ein gemeinsames Plädoyer für Frieden im Land abzugeben. Die 30 Prozent weibliche Delegierte sollten aller Welt zeigen, dass inzwischen auch Frauen eine gewichtige Stimme haben, und ein berüchtigter Warlord als Vorsitzender der Versammlung sollte klar machen, dass auch wirklich alle Afghanen ein Ende der Kämpfe herbeisehnen - egal wo sie politisch stehen.

Eine beschämende Ohrfeige für Präsident Ghani

Doch schon vor dem Start am Montag zerbarst dieses schöne Bild. Wichtige Machtfaktoren verweigerte ihre Teilnahme. Ganz vorne mit dabei Abdullah Abdullah, der Mitregent von Präsident Ashraf Ghani, der damit erneut deutlich machte, wie brüchig die Kabuler "Regierung der nationalen Einheit" tatsächlich ist. Was im Ausland schon als bemerkenswerter Dissens in der Machtzentrale gesehen wird, ist im Afghanistan ein Tabubruch ohne gleichen. Dort gilt als Mindeststandard der Höflichkeit, wenigstens in der Öffentlichkeit mit allerlei Nettigkeiten einen allgemeinen Konsens zu beschwören, mögen die Dolche hintern dem Rücken auch schon gezückt sein. Ashraf Ghani hat damit vor aller Augen eine beschämende Ohrfeige einstecken müssen - ein denkbar schlechter Start in den Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl im Herbst.   

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Florian Weigand leitet die Afghanistan-Redaktion der DW

Da hilft es auch nicht, dass Ghani sein PR-Ziel in der Loya Dschirga durchbringen konnte: Dass sich die Ratsversammlung am Ende für Frieden und direkte Gespräche mit den Taliban aussprechen würde, war ohnehin vorherzusehen. Aber eben auch, dass die Taliban dieses Angebot ablehnen werden. Und genau diese Taliban bestimmen nach wie vor die Politik in Afghanistan - ein großes Tamtam mit bunten Bildern von 3200 Delegierten haben die selbsternannten Gotteskrieger gar nicht nötig. Für sie ist es viel effektiver, wenn sie zeitgleich in Doha hinter verschlossenen Türen mit einer Hand voll Diplomaten aus Washington ganz real um die Zukunft Afghanistans feilschen können.

Doch versuchen wir uns einmal ein Bild vorzustellen, in dem Regierung und Taliban - in einer nahen oder ferneren Zukunft - tatsächlich gemeinsam eine Roadmap für ein Ende der Kämpfe skizziert haben. Käme damit nach vier Jahrzehnten Gewalt, Terror und unzähligen Opfern endlich der ersehnte Frieden? Danach sieht es derzeit nicht aus, egal wie weit sich Doha und Kabul annähern mögen. 

Der IS als neuer Gegner

Im Osten Afghanistans flammen neuerdings Kämpfe mit dem IS auf, der dort nach seiner Niederlage im Irak und Syrien hofft, eine neue Machtbasis aufbauen zu können. 50.000 Menschen mussten in den vergangenen Tagen aus den umkämpften Bezirken fliehen - zeitgleich zu den Friedensbemühungen in Doha und Kabul. Afghanische Regierungstruppen und Taliban kämpfen gleichzeitig, wenn auch (noch) nicht als Verbündete, gegen den IS, ohne diesen tatsächlich zu besiegen. Ganz im Gegenteil: Es gibt erste Berichte aus der Region, dass Taliban-Kämpfer zum IS überlaufen. Ihnen ist wohl der Kuschelkurs zuwider, den ihre Führung mit den USA fährt.

Ob es zu einer offenen Abspaltung von Teilen der Taliban kommen wird, ist sicher noch Spekulation. Aber allein die Gefahr, dass die Doha-Unterhändler ihre Gefolgschaft partiell verlieren könnten, wird sie nicht kompromissbereiter machen. Deswegen scheint der Weg in ein neues Kapitel der Gewalt und Terror gegenwärtig eher möglich als Frieden - allen Verhandlungsbemühungen zum Trotz.