Kommentar: Unterschätzte Gefahr
20. Oktober 2014Die Gefahren, die von einer Ebola-Epidemie für die betroffenen Regionen ausgehen, müssen der Europäischen Union spätestens seit März klar sein, als die ersten Koordinierungstreffen in Brüssel anberaumt wurden. Der Umgang mit der Seuche im fernen Afrika zog sich hin. Erste Mittel für Hilfen wurden zugesagt, erste Projekte vor Ort angeschoben. Über den Sommer dämmerte den Verantwortlichen bei der EU-Hilfsorganisation ECHO und in der zuständigen Generaldirektion, dass mehr Hilfe nötig sein würde. Die finanziellen Zusagen kamen auch, doch es hapert bereits seit August bei der Personalgewinnung. Diese in Brüssel öffentlich zugängliche Erkenntnis ist jetzt offenbar auch bei den EU-Außenministern angekommen, die zwischen Ukraine-Krise und Terrorbekämpfung in Syrien Zeit fanden, sich mit Afrika zu beschäftigen. Selbstkritisch räumten die Außenminister ein, dass man die Dimension der Krise in Westafrika unterschätzt habe. Man könnte auch sagen, die politische Spitze der EU hat lange geschlafen, denn die Fakten lagen ihr ja aus dem eigenen Hause, von ECHO aufbereitet, vor.
Die Minister handeln erst jetzt, da innerhalb der EU die ersten Ebola-Infektionen aufgetreten sind. Das gleiche Handlungsmuster ist auch in den USA zu erkennen. Erst die eigene Betroffenheit macht Beine. Bislang war Afrika weit weg. Jetzt müsste rasant schnell und massiv geholfen werden, um der Ebola-Epidemie in Liberia, Sierra Leone und Guinea Herr werden zu können. Die EU muss schnell die Lücken füllen, die die Regierungen und Gesundheitssysteme dieser Länder nicht füllen können. Da ist vieles falsch gemacht worden, auch von den Regierungen in Westafrika selbst. Doch darüber zu lamentieren bringt jetzt nichts, jetzt muß gemeinsam gehandelt werden. Finanzielle Mittel sind genug vorhanden, es fehlen ausgebildete freiwillige Helfer, die von Europa nach Afrika gehen könnten. Die Gewinnung und Ausbildung dieser mutigen Helfer läuft erst jetzt auf breiterer Front richtig an. Das ist sehr spät, jeder Tag zählt, jeden Tag stecken sich mehr Menschen mit dem todbringenden Virus an. Diese Aufgaben müssen die großen Staaten in der EU, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien vorantreiben. Sich auf die Strukturen und Koordinierungsorgien der EU und anderer überstaatlicher Organisationen zu verlassen, würde viel zu lange dauern.
Die EU will jetzt erst einmal einen "Beauftragten" ernennen und über eine eigene zivile EU-Mission nachdenken. Die Zeit hat man nicht mehr. Es muss heute gehandelt werden. Es gibt bereits eine engagierte Koordinatorin, in Gestalt der zuständigen EU-Kommissarin Kristalina Georgieva, die seit März auf die Ebola-Gefahren hinweist. Wozu eine weitere Koordinierungsebene in der EU gut sein soll, bleibt das Geheimnis der Außenminister. Die Idee eine "Weißhelm-Truppe", also einen schnell verfügbaren Pool von Seuchenbekämpfern aus Europa, zu gründen, ist gut, aber sie wird in der aktuellen Krise nicht mehr helfen. Diese "Weißhelme" sind für die nächste oder übernächste Epidemie gedacht. Um weitere verheerende Ebola-Ausbrüche zu verhindern, müssen die Gesundheitssysteme in den betroffenen Staaten aufgebaut und ausgerüstet werden. Außerdem muß die Aufklärung der Bevölkerung in West-Afrika verstärkt werden. Das wird Jahre dauern und eine wichtige Aufgabe für die EU-Entwicklungshilfepolitik werden müssen. Wegschauen hilft nicht und rächt sich irgendwann.