Auch Europa lässt die Syrer im Stich
Wie tief kann ein US-Präsident moralisch sinken? Erst verrät Donald Trump seine kurdischen Verbündeten und liefert sie türkischen Kampfbombern und aus türkischen Quellen finanzierten Dschihadisten aus, von denen sie teilweise regelrecht massakriert werden. Dann lobt er scheinheilig eine zwischen Moskau und Ankara ausgehandelte Feuerpause, die Erdogans Militärinvasion zwar begrenzt, aber auch legitimiert - und die zugleich die Herrschaft des Regimes von Baschar al-Assad und seiner russischen Schutzmacht in fast ganz Syrien zementiert. Dass Menschen sterben und ein Unrechtsregime expandiert, kümmert Trump offenbar nicht. Die Kurden seien eben auch "keine Engel", bemerkte er unlängst lakonisch. Zynischer geht es kaum.
Trumps Zynismus
Es war Trump, der durch den hastig verkündeten "Abschied" seines US-Militärs aus Syrien Moskau erst in die Lage versetzte, den Kurden androhen zu können, Ankaras Armee würden sie "zermalmen", wenn sie nicht ihre Kämpfer abzögen und sich unter Assads "Schutz" stellten. Dabei ist Baschar al-Assad nicht bloß ein Diktator unter vielen in der Region - er ist ein mehr als nur "mutmaßlicher" Kriegsverbrecher: Assad hat erwiesenermaßen über Jahre hinweg keinerlei Skrupel gehabt, ganze Wohngebiete im eigenen Land und die dort lebenden Bürger mit Fassbomben einzudecken. Es ist nicht nur Russland, sondern durchaus auch unentschlossener westlicher Außenpolitik zu verdanken, dass Assad sich in Syrien schon länger auf der Gewinnerstraße wähnen darf. Schon Trumps Vorgänger Barack Obama war davor zurück geschreckt, den Diktator in die Schranken zu weisen.
Nicht minder zynisch nun Trumps jüngste Volte: Plötzlich soll nun doch ein größerer Teil von US-Streitkräften und, US-Medienberichten zufolge, möglicherweise sogar Panzer-Einheiten in Nordost-Syrien verbleiben, um die dortigen Ölanlagen vor dem "Islamischen Staat" (IS) zu schützen. Trump entblödete sich nicht, auf Twitter zu schreiben: "Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, dass die Kurden sich in Richtung Öl-Region bewegen." Will er ihnen nun doch US-Schutz anbieten? Oder umgekehrt erneut US-Interessen von PKK-nahen Guerilla-Kämpfern beschützen lassen?
Europas Versagen
Es ist erschütternd, wie zynisch mit Worten, vor allem aber mit Taten und unterlassenen Taten, über das Schicksal nicht nur der Kurden, sondern praktisch der gesamten syrischen Bevölkerung entschieden wird. Nicht nur Trump und Obama, auch Europa und Schlüsselländer wie Deutschland und Frankreich müssen sich vorwerfen lassen, dem Morden in Syrien jahrelang zugesehen zu haben, ohne eine gemeinsame Strategie dagegen zu entwickeln - oder gar ernsthaft einen militärischen Einsatz zu erwägen. Man ließ und lässt sich stattdessen von Erdogan mit neuen syrischen "Flüchtlingsströmen" erpressen.
Europa hat wie die Amerikaner nicht das Geringste dagegen unternommen, dass Russland und der Iran ihren Einfluss in Syrien systematisch ausbauen und Assad zu neuer Stärke verhelfen konnten. Und wenn dieser gar nicht erst aufgenommene "Kampf" um europäischen Einfluss in Syrien praktisch schon verloren ist, entwickelt man plötzlich wohlfeile Ideen, die so gut wie keine Aussicht auf Erfolg haben. Dazu zählt insbesondere der weder in Berlin noch auf europäischer Ebene hinreichend abgestimmte Vorschlag der deutschen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, in Nordsyrien eine robuste UN-Truppe unter Einbindung Russlands und der Türkei zu installieren. Als ob Moskau den Europäern je zugestehen würde, in Syrien mehr als eine Hilfstruppe im Dienste seiner eigenen Interessen zu sein. Auch die Türkei hat den Plan inzwischen abgelehnt.
Mit einer solchen Politik weckt man bei den betroffenen Menschen Hoffnungen, die nicht erfüllt werden können. Auch das ist zynisch und verdeckt die bittere Wahrheit: Die Europäer genießen zwar Vertrauen und einen guten Ruf in der Region. Sie haben in ihrer jetzigen Verfasstheit und ohne einen starken amerikanischen Partner an ihrer Seite aber überhaupt nicht die Möglichkeit, den Kurden oder anderen Bevölkerungsgruppen in Syrien Sicherheit oder gar militärischen Schutz zu bieten. Das kann jetzt nur noch Wladimir Putin - wenn er es denn will, und wenn es ihm in das eigene strategische Kalkül passt.