Ja, der Bundespräsident hat recht: Deutschland wird sich verändern. Eine Million Flüchtlinge in diesem Jahr, vielleicht doppelt so viele im nächsten - das ist mehr als eine kleine Dehnungsübung für eine Gesellschaft. Joachim Gauck hat offen gelassen, wie sich die deutsche Gesellschaft wandeln wird. Die weltweit bestaunte Willkommenskultur an Bahnhöfen, Marktplätzen und Aufnahmelagern ist die noble, die edle Variante der Selbstdefinition einer Nation. Der wieder laute Rassismus in Kneipen und Fußgängerzonen ist hingegen die Horrorvision aller anständigen Deutschen.
Der rassistische Wolf im bürgerlichen Schafspelz
Gewiss, die Verbohrten, die ewig Gestrigen, den Mob hat es schon immer gegeben. Komplexbeladen und großmäulig waren und sind sie eine zumeist stabile, aber kleine Randgruppe unserer Gesellschaft. Der deutsche Parlamentarismus der alten Bundesrepublik und der des vereinten Deutschlands hat dieses - wohlgemerkt nicht deutsch-typische - Phänomen des latenten Rechtsextremismus stets klein gehalten. Das Neue an dem auf Straßen und vor allem im Netz zu beobachtenden Vulgär-Rassismus ist seine massenhafte Vervielfältigung durch die sogenannten besorgten Bürger der Mitte. Die, die bislang nur klammheimlich simpel dachten, legen nun ihre bürgerliche Tarnung ab. Sie trauen sich zu sagen, was sie immer schon dachten, orchestriert von den Scharfmachern von Pegida, AfD und NPD.
Es sind die Frustrierten der digitalen Welt, die allerdings schon zu analogen Zeiten ihre Balance nur durch Abgrenzung gegenüber allem, was ihnen fremd und unverständlich erscheint, zu halten glaubten. Mit den Flüchtlingen haben sie nun die Projektionsfläche für ihre allgemeine Lebensparanoia gefunden. Psychologen und Soziologen mögen uns bitte weiter mit ihren Forschungsergebnissen darlegen, warum auch gut situierte Mitfünziger mit akademischer Vita zum Rassismus neigen. Nur: Dies ist nicht der Augenblick, über Exzesse auf der Straße und im Internet zu philosophieren.
Wir werden die deformierten Hirne derer, die Flüchtlinge einfach "an die Wand stellen" und Merkel, Gabriel & Co am Galgen hängen sehen wollen, nicht kurieren können. Was wir aber sofort brauchen, ist die konsequente Anwendung des Rechts: Wir haben eine Verfassung, auch wenn sie nicht so heißt, und wir haben Gesetze. Was sich an Hass im Netz Bahn bricht und vor allem bei Pegida-Umzügen hören und sehen lässt, ist ein Fall für Polizei und Staatsanwaltschaft.
Demokratie muss wehrhaft sein
Warum durfte der deutsch-türkische Rechtspopulist Akif Pirincci ungestört seine widerlich-primitive Hetzrede in Dresden bis zum Ende halten? Der Autor hätte direkt von der Polizei von der Bühne geholt werden müssen. Warum durften Nazi-Symbole stundenlang durch die Straßen getragen werden? Wo war die Polizei, wo die Staatsanwaltschaft? Es ist das alte Lied vom blinden rechten Auge!
Eine Demokratie ist kein Selbstläufer, sie muss verteidigt werden, sie muss wehrhaft sein. Dazu brauchen wir keine neuen Gesetze, wir müssen nur die bestehenden anwenden. Im Ergebnis hätte das für viele, die jetzt feige im Geleitzug der Meute gegen Flüchtlinge hetzen, eine abschreckende Wirkung. Unsere bisherige Tatenlosigkeit wirkt da eher wie ein Dammbruch für die Massen. Wie gesagt: Dass sich die deutsche Gesellschaft verändern wird, ist unstrittig. Nur wie sie sich verändern wird, ist noch offen.
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