Er steht ohne Zweifel in den Startlöchern. Seine Rede steht zwar nicht offiziell in der Tagesordnung, aber sein Auftritt am Dienstag ist das heißeste Ticket des Parteitags. Denn bei den Parteimitgliedern ist Boris Johnson beliebt wie kein anderer. Weil er Witz und Charisma hat, unberechenbar und wendig ist. Und ein Meister der Metaphern: Theresa Mays Vorstellung vom Brexit, der sogenannte Chequers-Plan, sei ein Selbstmord-Kommando, und die Premierministerin habe den Auslöser an Michel Barnier und die EU übergeben.
Seit seinem Rücktritt von seinem Posten als Außenminister - weil er den Chequers-Plan nicht mittragen wollte - ist Boris Johnson der größte Kritiker der Premierministerin - mit seinen blond-zerzausten Haaren schon äußerlich ein Gegenpol zur stets korrekten May. Ein Klassenclown, der die strenge Schulleiterin aufs Korn nimmt. Sie sei "mit der weißen Friedensfahne wehend in die Schlacht gezogen", behauptet er. Ihr Plan würde Großbritannien dazu verdammen, Brüssels Regeln rückhaltlos anzuerkennen und auf ewig ein "Vasallenstaat" der verschwenderischen EU zu bleiben.
Unverhohlener Anspruch auf den Chefposten
Dagegen er, Boris Johnson: der weiße Ritter, der Retter des Brexit - so stellt er sich dar in seinen Reden, seinen Artikeln für die Tageszeitung "Daily Telegraph", die er schamlos dazu nutzt, seinen Gegenentwurf zu präsentieren. Ein unverhohlener Anspruch auf den Chefposten, den er nun auf dem Parteitag einlösen möchte.
Nur er, so impliziert er, habe den Mut, den Willen der Brexit-Wähler wirklich auszuführen: Ein "Super-Kanada"-Deal schwebt ihm vor, ein extrem weitreichendes Freihandelsabkommen. Die "überkommene und erstarrte" EU zu verlassen, stattdessen selbstbewusst und unabhängig in eine "glorious future", eine goldene Zukunft zu blicken, wieder die Kontrolle über das eigene Schicksal zurückzuerlangen. Der Brexit als Heilsversprechen ist Musik in den Ohren vieler Parteisoldaten. Sie werden an seinen Lippen hängen und sich wünschen, dass er tatsächlich den Vorsitz in Partei und Regierung übernimmt.
Aber tatsächlich wären die Konservativen schlecht beraten, in der nächsten Zukunft ihr Führungspersonal auszutauschen. Boris Johnsons Vorschläge taugen nur dazu, ihm zur Macht zu verhelfen. Das, was Johnson vorschwebe, stehe gar nicht zur Debatte, urteilt Schatzkanzler Philip Hammond. Johnson sei jemand, der sich nicht um die Details kümmere - aber genau um die gehe es in den zähen Verhandlungen mit der EU. "Er hält sich augenscheinlich für Churchill", befindet ein anderer Beobachter.
Völliger Realitätsverlust vieler Brexit-Anhänger
Dass Boris Johnson mit seinen Ideen so viel Zuspruch findet, zeigt den völligen Realitätsverlust vieler Brexit-Anhänger. Unabhängigkeit von Brüssel, bei nahezu gleichen Vorteilen, was den Freihandel angeht, und ohne den Status von Nordirland in Frage zu stellen - das alles erscheint ihnen greifbar. Die EU sieht das freilich anders. Und einen Boris Johnson als Verhandlungsführer der Briten mag sich in Brüssel wohl kaum jemand vorstellen. Wer möchte schon mit jemandem sprechen, der einen am laufenden Band beleidigt?
Und auch die Wähler scheinen skeptisch. Nach einer neuen Umfrage ziehen sie Theresa May gegenüber Boris Johnson vor. Die Partei täte gut daran, sich hinter ihrer Chefin zu versammeln. Auch sie hat dem Land noch nicht die volle Wahrheit gesagt, nämlich dass der Brexit wirtschaftlich weh tun wird - egal, ob er hart oder weich ausfällt. Ein bisschen Säbelrasseln gehört zum Geschäft, das wissen auch die Verhandlungspartner in der EU. Aber den Leuten das Blaue vom Himmel zu versprechen, wie es Boris Johnson tut - das ist unverantwortlich. Und es disqualifiziert ihn als Regierungschef.