Kommentar: China - Crash mit politischen Ursachen
Das nennt man Chaos-Veranstaltung. Innerhalb von einer Woche zweimal den Aktienhandel ganz aussetzen, das zweite Mal gleich dreißig Minuten nach Handelsauftakt. Es war der kürzeste Handelstag in der kurzen Geschichte des chinesischen Börsenhandels, und es war ein Armutszeugnis für die Regulierer im Reich der KP - dumm nur, dass die Chaos-Folgen auch in Tokio und Singapur, Jakarta und Mumbai, in Frankfurt und London durchschlagen.
Das Börsenchaos in China, das die Börsen weltweit erschüttert, hat drei unmittelbare Anlässe - aber letztlich hat es politische Gründe.
Wichtigster Anstoß: Die chinesische Landeswährung, der Yuan, sackt am Donnerstag auf den tiefsten Stand seit fünf Jahren. Die Notenbank der Volksrepublik legt den Wert des Yuan bei 6.5646 zum Dollar fest; den achten Tag in Folge schwächt die Notenbank damit die Landeswährung, ganz offenbar um die lahmende Konjunktur zu befeuern.
Das verweist auf den zweiten Anstoß für den neuen Börsencrash: Daten zur chinesischen Industrieproduktion, die wieder schwach ausfallen und die Sorge nähren, um die gesamte chinesische Wirtschaft könnte es schlechter stehen als offiziell zugegeben. Im Dezember jedenfalls, so eine Umfrage, war die Industrieproduktion den zehnten Monat in Folge gesunken.
Investoren kehren China den Rücken
Beides zusammen nährt bei Anlegern und Geldgebern ganz offenbar den Zweifel, ob die chinesische Wirtschaft wirklich der rechte Ort für ihr Kapital ist. Kapital fließt schnell ab, sehr schnell - manchmal reichen Sekunden, manchmal dauert es eine halbe Stunde, bis es knallt.
Die Weltbank warnt, ebenfalls am Donnerstag, die chinesische Wirtschaft werde möglicherweise in diesem Jahr nur noch um 6,7 Prozent wachsen, weniger als bisher geschätzt und so wenig wie seit 1990 nicht mehr. Allerdings lernen wir aus dem Weltbank-Bericht auch: Sie schließt offenbar einen plötzlichen Absturz der Wirtschaft Chinas nicht mehr aus. Dieses Szenario nämlich bezeichnet die Weltbank als eines der größten Risiken für die Schwellenländer - sie würde weltweit heftige Verwerfungen auslösen. Einen Vorgeschmack darauf bekam man am Donnerstag beim Blick auf Börsenindizes rund um den Globus.
Das Platzen einer Blase
In Shanghai und Shenzhen war die Party am Donnerstag nach einem Minus der Leitindizes um mehr als sieben Prozent zu Ende gegangen. Und damit sind wir beim dritten Chaos-Anlass - der anhaltenden Überhitzung des chinesischen Aktienmarktes.
Der chinesische Standardindex CSI 300 bringt es im Vergleich zum Sommer 2014 - da begann im Börsen-China die von oben gewollte Aufholjagd in Sachen Aktien - immer noch auf ein Plus von 60 Prozent. Im Sommer 2015, auf dem Höhepunkt des Hypes, lag das Plus bei schwindelerregenden 150 Prozent; das Wachstum all jener chinesischen Unternehmen aber, die von dem Index erfasst werden, ging in dieser Zeit kaum über zehn Prozent hinaus. Man braucht keine großen Rechenkünste, um zu sehen, dass sich hier etwas gebildet hat, was man gewöhnlich als Blase bezeichnet. Aus der Blase aber entweicht irgendwann die Luft.
Ein politisch gewollter Hype
Der Börsenhype war politisch gewollt. Der Parteistaat spielte seinen Untertanen das Lied vom schnellen Geld vor. Und viele Millionen, vom viel zitierten Taxifahrer über den Kommunalbeamten bis zum Industriemanager, tanzten nach dem Lied dieser Pfeife und gaben ihr Geld für Aktien aus. Woher sollen sie auch wissen, dass die Entwicklung der Kurse ganz offensichtlich nicht harten wirtschaftlichen Daten aus den Unternehmen (oder der Gesamtwirtschaft) folgt, sondern politischen Signalen.
Spätestens mit dem ersten Börsen-Crash im vergangenen Sommer wird deutlich, die Entscheider über Börsenhype und Staatsinvestitionen, über Kreditvergabe und Devisenreserven, über dicke Luft und Währungskurse in China verfügen eben doch nicht über das Instrumentarium, einen absurd komplexen Prozess wie den Zusammenhang zwischen Realwirtschaft und seinem Börsenabbild zu steuern - ob politisch oder nicht.
Der Börsenboom war ein politisch gewollter Börsenhype, der zu einer nicht steuerbaren Überhitzung geführt hat. Vom Staat, oder genauer vom Parteistaat, gelenkte Marktwirtschaft stößt hier an ihre Grenzen.
Misstrauen gegenüber der Partei
Brisant im Inneren mag das werden, wenn aus der Erfahrung der Chaostage an den chinesischen Börsen, die Millionen um ihr Erspartes bringen, nachhaltiges Misstrauen an der Weisheit der allwissenden Partei wird. (Oder auch nur Misstrauen an ihren Zahlen: Sind es wirklich knapp sieben Prozent Wachstum oder nicht tatsächlich viel weniger?) Solches Misstrauen in einer gelenkten Öffentlichkeit ohne freie Medien und Meinungsäußerung zu beseitigen, ist praktisch unmöglich.
Brisant für Volkswirtschaften in Schwellenländern und gestandenen Industrieländern ist das alles schon lange. So sehr die Weltwirtschaft vom chinesischen Boom der jüngeren Vergangenheit profitiert hat, so sehr gefährden die Strukturen in der zweitgrößten Volkswirtschaft nun die Weltwirtschaft.
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