Das Erfolgsmodell Merkel
Das beste Mittel gegen Populismus und Vereinfachung in der Politik ist, einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht in kaum steuerbare Gefühlsfallen zu tappen. Pragmatismus schützt vor Ideologien, öffentliche Bescheidenheit vor gefährlichen Show-Allüren. Das zeichnet Angela Merkel als Kanzlerin aus.
Was passieren kann, wenn man den Mund zu voll nimmt und die politische Großwetterlage falsch einschätzt, musste gerade Theresa May schmerzhaft erfahren. Merkel hingegen warnte auch nach zwei überraschend gewonnenen Landtagswahlen, dass die Bundestagswahl noch nicht gewonnen sei. Merkels Devise: Immer schön auf dem Teppich bleiben. Obwohl sie eigentlich allen Grund hätte zu jubilieren: Ihr Herausforderer Martin Schulz ist über sein großspuriges Auftreten gestolpert, der überraschende Aufschwung der Sozialdemokraten vom Jahresanfang ist schon dahin. Und die Rechtspopulisten von der AfD sind wieder auf Normalmaß zurückgestuft. Doch, wer weiß, noch sind drei Monate Zeit bis zur Bundestagswahl.
Kanzlerin im zwölften Jahr
Wer allerdings glaubt, Merkel verfolge keine ambitionierten Ziele, der täuscht sich. Merkel tritt nur weniger marktschreierisch auf und bleibt oft im Vagen. Ihre Bemerkung, Europa sei nun ein Stück weit mehr auf sich selbst angewiesen, könne nicht mehr so stark auf den großen Bruder auf der anderen Seite des Atlantiks setzen, ist typisch für Merkel. Dahinter steckt nämlich auch das Kalkül, aus dem Trump-Desaster Rückenwind für eine neue Runde der Annäherung in der Europäischen Union zu gewinnen. Weil das viel Arbeit bedeutet, ist es klüger, dieses dicke Brett in der Sache und in der Öffentlichkeit langsam aber stetig zu bohren. Und nicht, um im Bild zu bleiben, einfach mit einem Hammer darauf zu schlagen.
In Europa ist Merkel schon seit Jahren Managerin von Großkrisen - Griechenland, Euro, Ukraine, Flüchtlinge. Deutschland fiel jedes Mal die Führungsrolle auch deshalb zu, weil die anderen Staaten oder auch die EU zu wenig taten. Dabei musste Merkel einige Lektionen lernen. Zum Beispiel, dass man den Nachbarstaaten im Speziellen und allen anderen EU-Staaten im Allgemeinen nicht mit der Besserwisser-Keule kommen darf. Und dass man sich selbst nicht überschätzen sollte. Sonst ziehen sich - wie im Fall der Flüchtlingskrise - die Anderen zurück und Europa spaltet sich. Doch gelernt ist gelernt.
Mit Europa genug zu tun
Nun ist Merkel schon seit einer gefühlten Ewigkeit im Amt. In ihrer wahrscheinlich irgendwann erscheinenden Autobiografie wird sie über dutzende europäische Politiker berichten können. Im Ergebnis hat sie nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa eine große Hausmacht. Dass sie nun aber plane, Anführerin der freien Welt werden zu wollen, wie es ihr manche Kommentatoren zuschreiben wollen, ist nicht anzunehmen. Merkel weiß, dass sie ihre politische Rolle damit überstrapazieren würde. Vor allem auch, weil es im "kleinen" Europa noch genug zu tun gibt. Dass Deutschland wirtschaftlich weltweit eine Spitzenposition einnimmt, ist davon unberührt.
Zum Aktionsfeld Europa aber gehört für Merkel, die angrenzenden Regionen im Blick zu behalten. Die Ursachen für Flucht und Migration will Deutschland in den Heimatländern, speziell in Afrika bekämpfen und hat dafür schon entsprechende Initiativen auf den Weg gebracht. Aber, wie gesagt, es geht ihr dabei nicht um Weltpolitik, sondern in erster Linie darum, den Migrationsdruck auf Europa abzumildern.
Vorbereitung des G20-Treffens im Juli
Manche Kommentatoren interpretieren derzeit viel zu viel in die gerade stattfindende Lateinamerika-Reise der Kanzlerin in die beiden G20-Staaten Argentinien und Mexiko hinein. Schmiedet Merkel eine neue globale Achse? Wohl kaum - erinnert sei an die Umstände der Reise: Diese ist, wie üblich, lange geplant und keine kurzfristige Reaktion auf das Handeln der Trump-Administration. Zudem hat Deutschland derzeit den G20-Vorsitz inne, den es im kommenden Jahr an Argentinien übergeben wird. Um mehr Kontinuität bei der Bearbeitung von langfristigen Themen zu ermöglichen, spricht man in der Bundesregierung von einer Führungstroika aus dem vorigen (China), dem aktuellen (Deutschland) und dem zukünftigen (Argentinien) Vorsitzenden.
Auch Mexiko gehört den G20-Staaten an, die sich 1999 zusammengefunden haben. Mexiko ist ein wichtiger Handelspartner für Deutschland und wird 2018 Partnerland der Hannover-Messe sein - auch deshalb wird Merkel von einer Wirtschaftsdelegation begleitet.
Außerdem findet Anfang Juli der G20-Gipfel in Hamburg statt - da klärt man als Gastgeberin im Vorfeld selbstverständlich Positionen ab. Natürlich geht es dabei auch um den Freihandel. Doch Verhandlungspartner mit den Mercosur-Staaten ist - wie bei jedem Freihandelsabkommen - nicht Deutschland, sondern die Europäische Union. Aber klar ist, dass ein solches internationales Event, wenn es denn erfolgreich über die Bühne geht, für die Kanzlerin ganz nebenbei auch Wahlkampfhilfe in eigener Sache ist. Merkel wäre nicht Merkel, wenn sie das nicht wüsste und den klaren Vorteil der Amtsinhaberin nicht nutzen wollte.
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