Zypernfrage bedroht Beitrittsverhandlungen
17. Oktober 2006Im Streit über die Anerkennung Zyperns durch die Türkei hat die EU beide Seiten zum Nachgeben aufgerufen. Erweiterungskommissar Olli Rehn mahnte am Montag (16.10.) derzeit gebe es die für lange Zeit vielleicht letzte Chance, Bewegung in die Zypern-Frage zu bringen. Zypern hat mit einer Blockade weiterer Verhandlungsrunden gedroht, falls die Türkei ihre Häfen nicht ebenso für Schiffe aus Zypern öffnet wie für die aus anderen EU-Staaten. Die Türkei fordert im Gegenzug ein von Zypern abgelehntes Ende des Direkthandelsembargos mit dem türkisch besetzten Norden der Insel. Beide Seiten müssen über ihren Schatten springen, damit die Verhandlungen Ankaras mit der Europäischen Union über einen EU-Beitritt nicht scheiterten.
Konflikt lösen
Der Graben zwischen der EU-Führung und der türkischen Regierung wird breiter. Beide Seiten müssen Acht geben, dass er am Ende des Jahres nicht unüberbrückbar wird. Sollten die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei tatsächlich ausgesetzt werden müssen, wäre das eine mittlere Katastrophe für die europäische Außenpolitik. Das Ansehen der EU in der Türkei wäre für lange Zeit dahin, der Druck mehr demokratische Reformen umzusetzen würde verpuffen. Das strategisch richtige Ziel, die Türkei eng an Europa zu binden, würde in weitere Ferne rücken. Innerhalb der EU würde der latente Streit zwischen Türkei-Fürsprechern wie Großbritannien und verkappten Türkei-Gegnern wie Frankreich offensichtlich.
Der ungelöste Zypernkonflikt, der das vorzeitige Ende der Beitrittsverhandlungen erzwingen könnte, muss nun innerhalb weniger Wochen angepackt werden. Nach dem ergebnisfreien Treffen in Luxemburg darf man ernste Zweifel hegen, ob das noch gelingen kann. Der türkische Außenminister Abdullah Gül beharrte darauf, dass sein Land Zypern auch nicht indirekt anerkennen werde, es sei denn die EU täte dasselbe mit dem türkisch besetzten Nordzypern. Die EU weist mit Recht daraufhin, dass die Türkei bereits vertraglich zugesichert hat, zyprische Schiffe und Flugzeuge abzufertigen und damit den Staat, der seit 2004 EU-Mitglied ist, anzuerkennen wenigstens auf Umwegen. Auch die zyprische Regierung bleibt vorerst hart, sie will ihr Veto gegen weitere Beitrittsgespräche mit den Türken einlegen. Jetzt rächt sich, dass die EU den ungelösten Zypernkonflikt importiert hat, als sie 2004 die geteilte Insel aufnahm, obwohl die griechischen Zyprer im Süden den Wiedervereinigungsplan der Vereinten Nationen abgelehnt hatten.
Flexibilität gefragt
Beide Seiten müssten sich bewegen, flehte der EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn schon fast. Hoffentlich reicht die Flexibilität zu einem Durchbruch im Dezember. Die finnische Ratspräsidentschaft bereitet den nächsten faulen Formel-Kompromiss vor, der das Problem wieder verschieben würde, nach dem Motto: Wir wurschteln uns durch bis nach den Wahlen in der Türkei im kommenden Jahr.
Langfristig muss die Türkei einsehen, dass sie das EU-Mitglied Zypern wird anerkennen müssen, um in den Klub einzutreten. Da hilft es auch nichts, den Streit um den Völkermord an den Armeniern hochzuziehen und sich hinter dieser Kontroverse mit Frankreich quasi zu verstecken. Die mangelnde Geschichtsaufarbeitung ist kein Grund, die Beitrittsverhandlungen scheitern zu lassen. Es ist auch nicht hilfreich, die Türkei jetzt als Opfer von immer neuen europäischen Bedingungen darzustellen. Das ist schlicht falsch. Die Armenier-Frage ist kein offizielles Beitrittskriterium der EU, die Presse- und Meinungsfreiheit ist es schon. Nur die seit Jahren bekannte Zypern-Problematik ist ein echtes Kriterium.
Über-den-Schatten-springen
Richtig ist aber auch: Die langwierigen und zähen Verhandlungen mit der Türkei amüsieren weder das Publikum in Europa oder der Türkei noch tragen sie dazu bei, das Ansehen der Türkei in der Brüsseler EU-Zentrale zu heben. Im Interesse beider Seiten ist ein Ruck nötig, ein Über-den-Schatten-springen, um den seit 32 Jahren andauernden Zypern-Konflikt endlich anzugehen.